Mongolei: Abenteuer ohne Hashtag

Ein Hashtag ist ein mit Doppelkreuz [„#“] versehenes Schlagwort, das dazu dient, Nachrichten in sozialen Netzwerken auffindbar zu machen. (Wikipedia)

Mit der Stadt Hovd erreichen wir die Wüste. Rote Felsen, sandiger Boden, ein paar einsame Kamele. Wellblech, das Zähne und Knochen zum Klappern bringt. Doch vor uns liegt erneut eine spannende Route durch den Tsambagarav Nationalpark. Auf 3000 Meter hoffen wir zu finden, was wir bisher in der Mongolei vermisst haben: Intaktes Nomadenland. Die zehn Höhenlinien auf der russischen Generalstabskarte berühren sich beinahe - und den Russen kann man trauen. Zumindest ihren Karten. Etwas geschlampt hat der Kartograph aber dennoch, denn es ist ganz klar zu wenig Wasser eingezeichnet. Auf einer kaum sichtbaren Spur kreuzen wir jeden verdammten Fluss, der vom Gletscher herunter kommt. Steil hinauf, steil hinunter. Kein Wunder, wird die Piste kaum mehr gebraucht. Da kommen nur leichte russische Jeeps durch, keine neuen schweren Toyotas. Und wir, das Gepäck am Rücken. Doch es lohnt sich: Endlich finden wir unsere Mongolei wieder. Gers in den Hochtälern, abendlicher Besuch beim Zelt, Teeeinladungen und lustige Gespräche mit viel Pantomime. Und zum Schluss eine Tausendmeter Abfahrt nach Olgii auf einer seidenfeinen Piste - wusch, zurück in die Wüste. Als wir in Ölgii ankommen, spüren wir es trotzdem in den Knochen. Nicht das Wetter, obwohl dieses auch auf Sturm steht. Sondern die drei Tage Tsambagarav. Tsambagarav - das tönt nun wie ein leises Fluchen auf unseren Lippen. Und dennoch: Tsambagarav ist auch das magische „Sesam öffne dich“ zu einer der schönsten Regionen der Mongolei.

Nach ein paar Tagen Pause nehmen wir einen weiteren Nationalpark in Angriff. Wir wollen über den Kharkhira Pass, sozusagen quer zwischen den hochgezogenen Schultern des gleichnamigen 4000 Meter hohen Gebirges hindurch. Durch das dramatische Hovd Flusstal, entlang des mückenverseuchten Archit Nuur Sees und über einen ersten „kleinen“ Pass erreichen wir einen riesigen Sandkasten. War das so geplant? Nein. Hat der russische Kartograph geschlampt? Ja. Wir schieben, über uns türmen sich schwarze Gewitterwolken und in uns nagen erste Zweifel. Umkehren? Das ist uns noch nie leicht gefallen. Lieber uns in die Pfanne hauen, als in die Sandpfanne des Archit Nuur’s zurück kehren - oder wie Ivo’s Oma immer gesagt hat: „Gscheiter ich bin hin, als des isch hin“. Und so schieben wir weiter. Bald darauf kreuzen uns ein paar einheimische Motorradfahrer. Wir nehmen das als gutes Zeichen. Der Sand bleibt hinter uns, der Boden wird fester, erste Jurten kleben in den Hängen. Schieben, verschnaufen, Höhe gewinnen. Unser amerikanischer Freund Jerry postet etwa zur gleichen Zeit auf Instagram: „When in doubt, go higher.“ Es wird Abend, der Wind bläst uns über den Bergkamm und plötzlich haben wir sie vor uns: Die vergletscherten Gipfel des Türgen.

Am nächsten Morgen weckt uns strahlendes Wetter. Rasch packen wir zusammen und fahren euphorisch Richtung Berge. Sechzehn Kilometer geht der Track. Dann erreichen wir ein völlig fehl am Platz wirkendes Parkplatzschild in einem Sumpf. Es existiert nicht auf der russischen Karte, aber alles andere darauf ist sonnenklar: Zehn Kilometer und dreihundert Höhenmeter bis zum Pass. Die nächsten Stunden kommen uns vor, als würden wir unser Fahrrad in Schweden durch den Sarek Nationalpark schieben, oder über die weglose Greina Hochebene in den Bünder Alpen. Nur wegen der Kamelherde, die zusammen mit zwei Nomadenjungs an uns vorbeizieht, hinkt der Vergleich. Um vier Uhr erreichen wir den 2900 Meter hohen Pass. Es ist still, die Bergwelt um uns wild und mächtig, die Gletscher zum Greifen nah. Wie kann man einen solchen Moment beschreiben? Wie kann man verständlich machen, dass sich eine solche Anstrengung lohnt? In unserer Erinnerung flackert ein Zitat aus Kyle Dempster’s Film „the road from Karakol“ auf. Er würde uns verstehen.

„Echte Abenteuer sind nicht auf Hochglanz poliert. Sie sind nicht das Resultat eines Marketing Budgets. Es gibt keine Hashtags dafür. Sie brennen am hellsten am Ende einer Karte, aber sie sind in allen von uns. Sie warten an der Wegkreuzung deiner Vorstellung, am Rand der Vernunft. Du musst daran glauben. Sie werden dich finden.“

Ja, das Abenteuer hat auf uns gewartet, hier, weit draussen im Nordwesten der Mongolei. Und es trifft uns in den nächsten 48 Stunden wie ein ungebremster Sonnensturm den Polarhimmel im Winter.

Die pantomimischen „Kopf oben Kopf unten Gesten“ der Mongolen, welche wir nach dem Pass treffen sind unmissverständlich. Und das mongolische Wort „Oz“ - Wasser kennen wir. Das Herz rutscht uns in die Hose. Auf unserem weiteren Weg Richtung Ulangom müssten wir nun vier Mal den angeschwollenen Fluss queren. Ja, es hat viel geregnet in den letzten Tagen. „Tsambagarav“ fluchen wir zerknirrscht. Müssen wir jetzt echt zurück?

Mit viel Gestik stellt sich heraus, dass es einen anderen Ausweg aus dem Tal gibt. Ein weiterer wegloser Pass, ein Umweg von siebzig Kilometern, aber bloss eine einzige Flussquerung ganz am Anfang, bevor all die Zuflüsse tiefer unten im Tal auf den Hauptfluss treffen. Wir lehnen die Einladung fürs Übernachten ab und machen, dass wir weiterkommen. Natürlich wissen wir, dass Gletscherflüsse am frühen Morgen gequert werden sollten, doch wir wissen auch, dass es die nächste Nacht wieder eine Menge Niederschlag geben wird. Es ist also etwas Abendunterhaltung angesagt. Wir finden eine geeignete Stelle zum Queren und als die Wolken in feurigem Abendrot über den Pass wallen, als der erste Blitz über dem Kharkhira Uul niedergeht, sitzen wir sicher im Zelt, auf der richtigen Seite des Flusses und essen unsere letzte Pasta. Langsam wird der Proviant knapp.

Ausgehungert, müde und erschöpft erreichen wir am folgenden Nachmittag Ulangom. Unser Visa läuft in 24 Stunden aus und wir sind noch 300 Kilometer von der Grenze entfernt. Wir brauchen ein Taxi. Den jungen Fahrer, welchen wir nach drei Stunden herumfragen und herumirren als einzigen in der Stadt finden, ist nicht ideal. Er ist kaum dem Teenageralter entwachsen, hat aber einen starken 4x4 Pick Up. Mit hundert Sachen düsen wir hinaus aus der Stadt und surfen über den ersten unbefestigten Pass. Und dann kommt eine Jurte. „Cha, cha“ (Tee), meint unser Chauffeur. Wir sind zwar nicht begeistert, aber die Mongolen sind soziale Menschen. Und das Ger gehört immerhin seiner Schwester. Der Tee ist gut. Der Schnaps auch. Wir hätten es besser wissen sollen. Die abgefüllte Petflasche beschlagnahmen wir umgehend, doch die nächsten Stunden werden nicht lustig. Nach ein paar Dakhar Rally Einlagen, gewürzt mit mongolischen Schlagern in Pavarroti Stärke, verlangt Altynger resolut nach seiner Schnapsflasche. Wütende Mongolen sind wie junge Hengste, kraftstrotzend und nicht zum Knuddeln aufgelegt. Altynger hält an und will mit uns raufen. Zum Glück hat’s dazu keinen Platz im Auto und er steigt aus.

Wir haben immer geglaubt, Autoklauen sei schwierig, doch eigentlich ist es ganz einfach und es braucht auch nicht viel kriminelle Energie dazu. Ein auslaufendes Visa und ein angesäuselter Mongole reichen völlig. Blitzschnell drücken wir die Zentralverriegelung und fahren die Scheiben hoch. Brigitte steigt hinters Steuer und ab gehts. Altynger verschwindet verblüfft im Rückspiegel. Es ist uns klar - was wir da machen ist Diebstahl. Und darum halten wir sobald uns das nächste Auto entgegenkommt auch an. Zusammen mit vier starken Mongolen - einer davon spricht etwas Englisch - gelingt es uns den daherschnaufenden Altynger abzukühlen. Von nun an sind wir Freunde (von einem ausgeschütteten Bier im nächsten Kaff und einer Preisdiskussion um zwei Uhr morgens einmal abgesehen). Am Nachthimmel zieht der Erdschatten über den Mond, wie ein verspätetes Omen. Und mit der Morgendämmerung erreichen wir Tsaganuur.

Natürlich hätten wir langsam genug. Ein kalorienreiches Essen, eine Dusche, schlafen…aber natürlich herrscht stürmischer Gegenwind auf den letzten 35 Kilometern zur Grenze. Natürlich durchsuchen die russischen Grenzbeamten unser gesamtes Gepäck und finden tatsächlich ein Briefchen abgelaufene Tramal Tabletten. Vor vier Jahren von einer Schweizer Tropen- und Reiseärztin als Notfall Schmerzmittel empfohlen und in unsere Reiseapotheke gepackt. Rezept? Nicht dabei. Problem? Tramal hat dieselbe Wirkung wie Opium. Die Russen sind entspannt - und wir auch. Beiden ist klar, dass der Fehler bei der Ärztin liegt. Die nächsten vier Stunden, die wir mit dem Ausfüllen von Formularen verbringen, erscheinen uns ein angemessener Abschluss der vergangenen Tage. Draussen entlädt sich ein weiteres Gewitter, wie eine Parodie zu unserem Abenteuer Sturm, der sich nun langsam legt, zur Ruhe kommt und sich dann im weiten mongolischen Grenzland verliert.

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