Oman: My Sultan, my hero

Es ist der 18. November. Als wir an diesem Morgen in der Lobby des Hotels in Muscat aus dem Lift treten, stossen wir fast mit einer Bockleiter zusammen. Auf der obersten Sprosse versucht der Rezeptionist seine Balance zu halten und gleichzeitig einen weiss-rot-grün gestreiften Ballon mit einem Klebestreifen an der Decke zu befestigen. „It's National day!“ ruft er uns zu, sobald der Ballon sicher klebt. Seine weissen Zähne blitzen auf, während er gefährlich schwankend nach dem nächsten angelt.

It's National day – Sultan Qaboos feiert seinen 74. Geburtstag. Seit vierundvierzig Jahren ist er an der Macht, nachdem er 1970 seinen Vater vom Thron gestürzt hat. In diesen vierundvierzig Jahren hat er das verarmte und vom Bürgerkieg zerrüttete Sultanat geeint und modernisiert und damit der Bevölkerung zu einem Leben in Wohlstand verholfen. Kaum ein Omani, der ihn nicht verehrt und voller Dankbarkeit und Ehrfurcht von ihm spricht. Der Sultan wird in der neuen Staatsverfassung als Wächter, Hüter und Symbol der nationalen Einheit bezeichnet und von vielen wird er nicht als autokratischer Herrscher betrachtet, sondern als eine Art „Vater“ des ganzen Landes. Vor ein paar Tagen hat uns ein Taxifahrer gefragt, wie wir den Oman fänden und als wir ihm sagten, dass es uns hier sehr gut gefalle, meinte er darauf schlicht, aber überzeugt: „Oman is the number one!“

Klar, der Sultan hat viel geleistet, dass müssen auch wir nach unserem vierwöchigen Aufenthalt im Land zugeben. Die Strassen sind gut ausgebaut, in den abgelegensten Orten finden sich Schulen, die sowohl von Jungen wie Mädchen besucht werden, und auch die Gesundheitsversorgung ist für jedermann gewährleistet und kostenlos. Die alten Lehmhaussiedlungen zerfallen und die Menschen leben in mehr oder weniger geschmackvoll gebauten Betonhäusern, fahren neue Autos und kaufen in riesigen Shopping Malls ein. Trotzdem, da ist auch die andere Seite. Wir sehen, wie pakistanische Gastarbeiter Sand und Schutt in der heissen Mittagssonne schaufeln, wie sie, nur mit einem Nastuch vor dem Mund den dampfenden Teer der neuen Strasse glatt walzen, wie sie den Abfall entlang der Strassen einsammeln. Wir sehen, wie sie aus dem Laden oder dem Coffeeshop rennen, sobald ein Omani in seinem glänzenden Auto ungeduldig davor hupt und seine Bestellung durchs Fenster aufgibt.

Nicht nur Sultan Qaboos hat das Land dahin gebracht, wo es heute steht. Knapp dreissig Prozent der Bevölkerung sind Gastarbeiter aus Pakistan und Indien und diese haben ihren Teil dazu beigetragen, ohne es gross gedankt zu bekommen. Integration und Familiennachzug gehören genau sowenig zum Regierungsvokabular wie Gewaltentrennung und Demokratie.

Doch heute wird ganz sicher nicht genörgelt. Und auch die Gastarbeiter haben ihre Freude am nationalen Geburtstag. Denn heute machen viele der Auto Aufkleber Buden ihren Jahresumsatz. Das ganze Auto wird auf omanisch gestylt. Als wir vor einer der zahlreichen Garagen Halt machen, fährt ein weisser 4x4 vor. Ein älterer Herr in nicht weniger leuchtend weisser Dishdasha hupt mehrmals laut und lässt die getönte Scheibe herunter. Dienstbeflissen kommen zwei Pakistanis angerannt, und führen ihm die verschiedenen Motive vor. Das Gesicht des Sultans mit schwarzen Strichen skizziert, unmissverständlich an das Portrait von Che Guevara erinnernd, der Sultan als Oberst in Militäruniform und Kriegsflotte im Hintergrund, der Sultan als älterer Herr mit sorgfältig geschlungenem Turban und exakt gestutztem weissem Bärtchen, auf seinen Spazierstock gestützt. Der Omani nickt, der eine Pakistani hält ihm die Autotür auf, während der zweite ihm einen Stuhl im Schatten zurecht rückt. Und nun machen sie sich unter dem wachsamen Blick des Autobesitzers an die Arbeit. Vorsichtig ziehen sie das Motiv auf die Autotüre auf, erhitzen die Folie mit dem Heissluftföhn und streichen allfällige Luftblasen weg. Der ältere Herr ist zufrieden.

Am Abend findet in Qurum, einem nördlich gelegenen Stadtteil eine grosse Autoparade statt. Da sind sie die schnellen Schlitten, die bulligen Landcruiser und eleganten Cabrios, hupend und schmetternd rollen sie die Avenue hoch. Alles zu Ehren von Sultan Qaboos.

Doch leider sieht das Geburtstagskind gar nichts davon. Der Sultan ist krank und befindet sich seit längerer Zeit zur medizinischen Behandlung in einer Klinik in Deutschland. Niemand weiss, woran er leidet, so wie auch niemand weiss, wer einmal als Nachfolger antreten wird. Seine königliche Hoheit hat keine Kinder. Er soll jedoch einen geheimen Brief geschrieben haben, der im Königspalast aufbewahrt wird, und in dem festgelegt ist, wer das Land nach seinem Tod weiterführen wird.

Doch daran denkt heute niemand. So wie auch niemand daran denkt, was gegen die Arbeitslosigkeit von mehr als 20% getan werden könnte, wie sich das Land aus der Abhängigkeit von der Rohstoffpreisentwicklung lösen kann und wie es sich mit der existierenden krassen Zweiklassengesellschaft weiterentwickeln soll. Niemand denkt heute an die Herausforderungen der Zukunft, denn heute wird gefeiert. Ein Freudentag. Lang lebe Sultan Qaboos bin Said Al Said. My hero – my Sultan!

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