Farbenspiel in Asien

Grün. Zartes frisch erwachtes Grün. Kleine Blättchen an einem Zweig, die Knospen hätten gestern aufgesprungen sein können. Der Baum steht vor einer orthodoxen Kapelle, ein paar hundert Meter neben unserem Hostel in Vladivostok. Ein Flug über die Packeisfelder des ochotischen Meeres liegt hinter uns, ein Jahreszeitensprung. Die Welt ist wieder bunt, die Farben intensiv nach den blassen Wintermonaten. Wir radeln durch die Stadt an den Hafen, warten dort auf die Abfahrt der Fähre nach Japan. Es ist warm, wir sitzen auf einer Bank und picknicken. In zwei Tagen werden wir in Japan sein. Gutes Essen, Radeltage, während denen wir uns weder Gedanken um einen warmen Übernachtungsplatz noch um Kilometer und Tagesetappen machen müssen. In den Tag hineinleben, das Zelt aufstellen, wenn wir müde sind. Einen Supermarkt an jeder Kreuzung. Wahrscheinlich werden wir bald genug davon haben. Doch jetzt freuen wir uns darauf.

Wir haben vergessen, wie grün die Welt sein kann. Nun ist es ein saftiges, sommerliches Dunkelgrün. Jetzt duftet es. Nach frisch gemähtem Gras, nach Sommer. Seit wir Sibirien verlassen haben vor drei Tagen, ist die Temperatur um dreissig Grad gestiegen. Damit tun wir uns schwer. Wir sind es nicht mehr gewohnt zu schwitzen. Von Norden nach Süden durchradeln wir die Insel Honshu. Es ist ein anderes Japan, als wir es vor vier Jahren erlebt haben. Ländlicher, ruhiger. Die Bauern pflanzen Reis auf den Feldern. Maschinell, mit kleinen, hochtechnologischen Pflanzmaschinen. Dann fahren wir durch die Berge, auf schmalen Strassen, weit weg von allem Verkehr. Buddhistische Schreine, halb vergessen unter mächtigen Bäumen. Gepflegte Gärten. Es sind anspruchslose Tage, die wir in Japan durchleben. Aber genau das haben wir nach dem harten sibirischen Winter gesucht.

Wir übernachten am Strand bei einer Autoraststätte. Um die Ecke haben wir uns zwei Mikrowellenmenus gekauft und nun schauen wir mit einer Horde Japaner dem Sonnenuntergang zu. So orange, so kitschig. Jemand hat an der Wassergrenze eine Skulptur hingestellt, mit einem Loch im oberen Teil. Irgendwann scheint die Sonne durchs Loch, bevor sie im Meer versinkt. Alle warten darauf. Jemand spielt Mundharmonika. Neben uns zeltet ein japanischer Radler. Er heisst Hiroshi und macht eine Fahrradtour über die Insel. Wenn wir Lust hätten, meint er, können wir ihn besuchen. Er wohne in Fukuoka. Dort wollen wir in zwei Wochen Japan mit dem Schnellboot Richtung Südkorea verlassen. Wir schreiben seine Adresse auf. Als die Sonne weg ist, beginnt eine Regenbogenlampe auf die Skulptur am Strand zu leuchten. Ein paar Jugendliche machen Luftsprünge davor und knipsen Bilder mit dem Smartphone.

Die Wolken hängen tief in Fukuoka, es ist grau. Langsam sucht sich wohl der Monsun seinen Weg Richtung Norden. Doch wir können uns nicht beklagen. Es sind die einzigen zwei Regentage während unserem Japanaufenthalt. Wir treffen Hiroshi, verbringen einen gemütlichen Abend zusammen. Er hat als Lehrer gearbeitet, bis er die Arbeitsbedingungen nicht mehr ausgehalten hat. Betreuung der Klasse von morgens um acht bis abends um sechs. Danach jeweils noch den Unterricht vorbereiten. Am Wochenende fanden obligatorische Sportwettkämpfe statt. Wenn die Jugendlichen die Schule schwänzten, musste er persönlich bei ihnen vorbei, um sie wieder für den Unterricht zu motivieren. Ihm selber blieb keine Zeit. Den Job in Japan an den Nagel zu hängen, ist ein riesiger Imageverlust. Über Burnout wird nicht gesprochen. In ein paar Wochen will er nach Europa fliegen. Mit seinem Fahrrad rumtouren. Aki, seine Freundin, kocht uns ein leckeres Abendessen. Sie ist Haarstylistin und am nächsten Tag verpasst sie Brigitte in ihrem charaktervollen Salon einen japanischen Haarschnitt.

Ein wachsgelber Himmel. Smog aus Korea und China, der in den Sommermonaten die Küstenstädte Japans erreicht. Wir besteigen das Schnellboot nach Busan. Millionenstädte erwarten uns.

Ein bisschen schriller als Japan, aber nicht so laut wie China. Der Verkehr ist etwas rücksichtsloser, die Menschen etwas lebhafter und draufgängerischer, die Stadtbilder weniger gepflegt. Einen Schuss roten Chili über alles. Korea eben, mit ganz eigenem Stil. Vieles ist eher funktionell als ästhetisch und jeder weiss, wo die Schweiz liegt. „It's my dreamland“, vertraut uns der Familienvater an, dem wir beim Zeltaufstellen helfen. „Oh, Switzerland, I've been there last February“, meint der Tankwart, während er sein Smartphone zückt und uns ein Filmchen von der Höhematte im Schnee abspielt. „Zurich, Luzern, Interlaken, next time I go back for hiking. It's a wonderful country!“ Wir reiten auf einer Welle der Sympathie. Die blosse Erwähnung der Schweiz zaubert ein Lächeln auf das Gesicht unseres Gegenübers, ein wissendes Nicken und weitere Vorzüge unseres Heimatlandes werden aufgezählt. Sogar die Abfalleimer seien dort schön. „Sometimes it's almost to much you know...“

600 Kilometer legen wir in Korea fast ausschliesslich auf Fahrradwegen zurück. An Flüssen entlang und durch Nationalparks werden wir am Verkehr vorbei gelotst. Um Seoul sind die Radwege dann vierspurig ausgebaut, mit Fressbuden, öffentlichen Toiletten und Wasserstellen, am Wochenende von den Einheimischen zum Bersten genutzt. Wir finden es spassig, weil man so schön Koreaner gucken kann und so campieren wir dann auch an unserem letzten Tag in Korea zusammen mit hundert Wochenendausflüglern auf dem knappen Grünstreifen zwischen Autobahn und Veloweg. Oh yeah, Korea rocks! Sibirien – das ist lange her...

Rostbraun und heruntergekommen ist die Fähre, welche in Incheon Richtung China ablegt. Die beige Dreckspur auf der Landkarte im Eingangsbereich zeigt deutlich unsere Route durchs gelbe Meer. Von tausenden Passagieren nachgezeichnet spricht sie eine deutliche Sprache über den Zustand des Schiffes. Wir haben uns in die Musiklounge verkrochen, in der Hoffnung, wenigstens einen guten Schiffspianisten anzutreffen, wo doch alles an den Novecento Dampfer in seinen letzten Tagen erinnert. Doch dort plärrt am Fernseher nur ein heillos überdrehter Tom & Jerry und wird dann in den späten Abendstunden von einem noch lauteren und grässlich falschen Karaokesänger abgelöst. Den Schiffsopa lässt's kalt und er tuckert unbekümmert durch die Nacht ohne abzusaufen.

Weiss und blau. Federwolken am Horizont. Langsam wird die Landschaft weiter, die Luft klarer. Eine Woche mit starkem Gegenwind und langen Radeltagen durch eine völlig übernutzte Landwirtschaftszone liegt hinter uns. Wir haben Städte durchquert, die aussahen, als hätten Frachtflugzeuge ein paar Hochhäuser abgeworfen, die nun darauf warten, besiedelt zu werden. Der alte Königspalast in Shenyang, ein einsamer Zeitzeuge, umgeben von einer Explosion aus Beton. Hier wächst das China von morgen. Die Innere Mongolei verzeichnete in den letzten Jahren das stärkste Wirtschaftswachstum von ganz China. Treibende Kraft ist der Kohleabbau. Der Preis: Zerstörtes Weideland, Wasserverknappung und soziale Spannungen. Schwarz.

Gleissendes Scheinwerferlicht, dahinter ein pflaumenfarbener Abendhimmel. Auf dem grossen Platz im Zentrum von Ulan Hot erwacht das Leben. Es wird getanzt. Jeder kann sich anschliessen, jeder macht mit. Gruppentänze, festgelegte Schritte, Nacht für Nacht, tausendfach wiederholt. Ältere Pärchen im Walzerschritt, dazwischen ein einzelner Mann, mit grossen Bewegungen, träumerisch, ein einsamer Doug aus Strictly Ballroom. Chinesische Mongolen spielen auf elektrisch verstärkten Pferdehaargeigen, Strassenmaler zeichnen mit Schaumstoffpinseln und Wasser Schriftzeichen auf die Bodenplatten. Vergänglich und wunderschön. Sie bringen Glück. Wir lieben den Platz. Ein leuchtdiodenbestückter Propeller sirrt in den Himmel. Er blinkt in allen Farben.

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