Alaskas "Wheelmen" auf der Iditarod

Es war einmal, als die Flüsse in Alaska noch Goldnuggets in Faustgrösse anschwemmten, als Tausende von Glücksrittern in den äussersten Norden Amerikas aufbrachen, sich an den Ufern des Yukons niederliessen und einem gemeinsamen Traum folgten: Eldorado zu finden. Alaska blühte auf, schnell wie eine Wildblume nach der Schneeschmelze. Hektisch wurden Siedlungen gebaut und Dampfer begannen den Yukon hinaufzuziehen, brachten Waren, noch mehr Menschen und Post in die Wildnis, die ab sofort keine mehr war. Alaskas Blütezeit überdauerte die der Wildblumen, hielt an, als der erste Schnee fiel, hielt an, als die Siedler in ihren Hütten zu schlottern begannen, hielt an, als die Dampfer in den Winterschlaf fielen. Pferde- und Hundegespanne versorgten nun die Goldsucher, bahnten sich ihren Weg über gefrorene Flüsse und durch verlassene Wälder. Damals entstand der Iditarod National Trail: Ein eintausend Meilen Winterpfad durch Alaskas Outback, von Seward am Alaska Golf bis Nome an der Beringsee.

Mehr als hundert Jahre sind seither vergangen. Die Goldgräber haben ausgeträumt, doch wenn im November die Sümpfe erstarren, wenn tagelang Schnee fällt und das Seeeis zu krachen beginnt, dann starten die Trailbreaker von Alaska ihre Snowmachines und machen sich auf den einsamen Weg hoch in den Norden. Sie legen die Spur, welche alle Träume und die Zeit überdauert hat und auf welcher Anfangs März die Musher zum "Last Great Race on Earth" aufbrechen, dem härtesten Schlittenhundrennen unserer Zeit.

Zwei Tage nach dem Startschuss des Hundeschlittenrennens stehen auch wir am Alaska Golf. Unser neues Veloabenteuer heisst: Iditarod unsupported. Ob und wie weit wir es schaffen, wissen die Nordlichter. Wir denken in kurzen Etappen, setzen uns nicht unter Druck. Anders als die Musher, denn diese haben in den vergangenen 48 Stunden bereits rund fünfhundert Kilometer zurückgelegt. Neue Hunderassen, Carbonschlitten und eine Schar aus freiwilligen Helfern, welche die Teams aus der Luft und am Boden unterstützen, haben das Tempo des Rennens seit den siebziger Jahren mehr als verdoppelt. Auf solche Unterstützung können wir nicht zählen. Das Iditarod Invitational Rennen für Fatbiker und Runner, welches eine Woche vor dem Hundeschlittenrennen stattfindet, bleibt einer ausgewählten Gruppe von Athleten vorbehalten. Und so stehen wir nun am Trailhead, mit normalen 2.2" Spikesreifen, einer minimalen Bikepackingausrüstung, ansonsten auf uns alleine gestellt. Wir wissen von einer Handvoll Radlern, welche sich in den letzten Jahren so auf den Trail gewagt haben. Die Gewissheit, dass diese durchgekommen sind und das Know-How, welches wir uns auf früheren Wintertouren angeeignet haben, machen uns Mut.

"Where are you heading to?" Eine Gruppe Schneemobilfahrer hält neben uns. Wohin wir fahren? Nun, eigentlich steht nur eine Möglichkeit zur Auswahl. "To McGrath" antworten wir deshalb. "With this bikes?! - No way!" Klar, wir haben schmale Reifen, doch auch die Goldsucher, denen im 19. Jahrhundert das Fahrrad als Wundermaschine zum Erreichen der Goldfelder verkauft wurde, hatten ganz sicher keine Faties. "Faster than the dogs - schneller als die Hunde", lautete der Werbeslogan und so mancher Goldsucher hat wohl die 85$ in die "Wheels" investiert. Und tatsächlich finden wir - in dem leider vergriffenen - Magazin "Wheels on ice", ein Nachdruck von Tagebuchsammlungen um 1900, Belege, dass einige verrückte "Wheelmen" den Weg mit dem Fahrrad geschafft haben. Max Hirschberg war einer von ihnen.

Als Besitzer eines Roadhouses in Dawson sah er täglich die Goldsucher Richtung Nome vorbeiziehen und eines Tages beschloss er, "to see what he could do" und ihnen zu folgen. Er verkaufte sein Roadhouse und seine Goldclaims in Dawson und bereitete sich auf seine Fahrt mit dem Hundeschlitten nach Nome vor. Doch das Schicksal wollte es anders. Die Nacht vor seiner Abreise brannte das örtliche Hotel ab und während des Feuerlöschens trat Max in einen rostigen Nagel und fand sich wenig später mit einer ernsthaften Blutvergiftung im Spital wieder. Als er entlassen wurde, war es bereits Anfang März und Tauwetter stand vor der Tür. So beschloss er, statt mit dem langsamen Schlittengespann mit dem Fahrrad zu starten, um Nome noch vor dem grossen "break up" zu erreichen.

"Der 2. März 1900, der Tag als ich Dawson verliess, war klar und kalt, 30 Grad unter null. Ich hatte ein Flanellhemd übergezogen, dicke gefleeste Overalls, einen schweren Mackinaw Mantel, einen Regenparka, zwei Paar gute Wollsocken, Filzstiefel, eine Pelzmütze mit heruntergelassenen Ohrenklappen, eine fellgefütterte Maske und Handschuhe. Am Lenker hatte ich zudem einen weiten Fellmantel angebunden. An den Sattelfedern befestigte ich einen Planenbeutel mit einem weiteren dicken Hemd, Ersatzsocken, Unterwäsche, ein wasserdicht verpacktes Tagebuch, Schreibstifte, einige Bücher und ein paar Briefchen Schwefelhölzchen. In meinen Taschen hatte ich ein Messer und eine Uhr. In meiner Satteltasche hatte ich 1500$ Goldstaub, und meine Geldbörse enthielt Silber- und Goldmünzen. Direkt auf dem Körper hatte ich mir einen Gürtel umgeschnallt, in den meine Tante aus Youngstown, Ohio, 20$ Goldmünzen eingenäht hatte, bevor ich Richtung Klondike aufgebrochen war."

Unsere Ausrüstungsliste liest sich beinahe so lang, ist aber um einiges handlicher, da wir mit Hightechmaterialien auf einige Errungenschaften des 20. Jahrhunderts zurückgreifen können. Je zwei Garnituren Thermounterwäsche, eine Trekkinghose, ein Fleecepullover, zwei Paar dicke Socken, Fäustlinge und Fingerhandschuhe, Mütze, Schal und Kältemaske, Goretexgarnitur plus Daunenjacke. Doch anders als Max, dem damals alle dreissig Meilen ein Roadhouse als Restaurant und Übernachtungsplatz zur Verfügung stand, tragen wir auch noch Zelt, Campingmatten, Schlafsäcke, Kocher und Proviant für sechs Tage mit uns, was unser Bike schlussendlich wohl doch schwerer macht, als Max' seinerzeit.

In den ersten Tagen ist der Trail perfekt. Gespurt von den Schneemobilen und den rund dreitausend Hundepfoten ist der Pfad hartgepresst, teilweise vereist und schnell zu fahren. Doch wir wissen, dass es um den Rainy Pass herum einen Haufen Neuschnee gegeben hat und dort auch die Fatbiker eine Woche zuvor stundenlang schieben mussten. Aber die Alaska Range ist noch weit. Vorerst folgen wir den grossen Flüssen dieser Region, dem Yentna und dem Skwentna. In weiten Schlaufen suchen sie sich ihren Weg westwärts und führen uns immer tiefer in die Wälder Alaskas.

Nachdem wir zweimal Glück hatten und drinnen schlafen konnten, machen wir unser erstes Biwak am Shirley Lake. Wir haben einen warmen Winter erwischt, doch mit dem Wind und dem klaren Wetter wird es diese Nacht richtig kalt werden. Zeit für ein Feuer. Die abgestorbenen Lärchen mit ihren schwarzen Flechten brennen wie Zunder. Funken stieben hinaus in den blauschwarzen Nachthimmel. Ein Satellit zieht seine Bahn unter Myriaden von Sternen. Nach zwei Stunden ist der Schnee für unsere Thermosflaschen geschmolzen, das Nachtessen gegessen, Matten, Dampfbremse, Schlaf- und Biwaksäcke liegen bereit. Wir stellen kein Zelt auf. Das Aufstehen in einem, von der Atemluft vereisten Zelt, gehört zum Unangenehmsten beim Wintercampieren. Rot glüht die Glut, als wir zu Bett gehen. Und dann umschliesst uns die Kälte von allen Seiten. Sie steigt aus dem Boden und strahlt aus dem All. Das Feuer fällt ihr zum Opfer, keine Wolke hält sie auf. Wie ein tollwütiges Tier beisst sie sich in allem fest, was sie findet. Räder, Gepäck und Schuhe frieren ein. Das Aufstehen wird eisig werden, doch bis dahin schützt uns eine dicke Luft- und Federschicht.

Wir sind todmüde, aber lange schlafen wir nicht. Nur einige Stunden später weckt uns ein Lichtschimmer über den Bergen. Zuerst ein feiner milchiger Schein, nimmt er rasch an Leuchtkraft zu. Mit intensiven grünen Schleiern legt sich die Aurora Borealis pulsierend und flackernd über den Himmel, schrumpft zusammen, dehnt sich aus und jagt als Blitzgewitter über unsere Köpfe hinweg. Ein Geisterwesen, ausseriridisch, filigran, scheinbar lebendig und wunderschön. Wir könnten stundenlang zusehen. Als Erinnerung versuchen wir auch ein paar Fotos zu machen, doch wir müssen aufpassen, dass wir sitzend bei den minus 25 Grad nicht zu sehr auskühlen. Zudem brauchen wir den Schlaf, um morgen die Rainy Pass Lodge und damit unser erstes Proviantpaket erreichen zu können.

Am nächsten Tag gegen Mittag stehen wir unter dem Torbogen der Rainy Pass Lodge, der ältesten Jagdlodge Alaskas. Die Familie Perrin betreibt sie seit mehreren Generationen und Robin bittet uns sofort in den warmen Aufenthaltsraum, als wir unsere Bikes vor der Tür parken. "Are you the Swiss cyclists?" fragt sie, als sie uns einen Becher warmen Kaffee in die Hand drückt, "we have here a parcel for you." Super, es hat also geklappt. Die Trailvorbereitung hatte sich nämlich in Anchorage komplizierter als erwartet herausgestellt. Während wir unsere anderen Fooddrops durch General Delivery an die offiziellen Poststellen in McGrath und Ruby schicken konnten, mussten wir hier den privaten Versorgungsflieger der Lodge nutzen, um unsere nächsten sechs Tage Proviant zu sichern. Obwohl es erst knapp eine Woche her ist, dass wir die Dinge verpackt haben, freuen wir uns beim Auspacken wie Kinder unter dem Christbaum. Nebst der Pasta, dem Müesli, dem Trailmix, Beefjerky und der Erdnussbutter finden wir nämlich auch zwei Pakete Gummibärchen in der Kiste. Ein Motivationsbooster, um unsere gute Laune bei Stange zu halten.

Vom Puntilla Lake steigt der Trail auf den 1000 Meter hohen Rainy Pass an, die Schlüsselstelle auf der 350 Meilen Strecke bis McGrath. Zunehmende Höhe heisst aber auch mehr Schnee. Für uns bedeutet das Schieben. Dafür trübt kein Wölckchen den Himmel und um uns türmen sich eindrücklich die Gipfel der Alaska Range. Eine unberührte Bergwelt, niemand hat die Hänge zerspurt. Ein paar Schneehühner flattern verstört aus den Haselstauden, ihre schwarzen Schwanzfedern kontrastieren zum Weiss. Und dann erreichen wir den Happy River. Er ist nicht zugefroren. Offenes Wasser im Winter, keine "happy" Überraschung für Velofahrer.

"Die Tage waren wärmer, der Trail begann zu tauen und wurde mit der Zeit immer unsicherer. Wasser floss in den Bächen und Flüssen. Als ich den Shaktoolik Fluss querte, brach ich durchs Eis. Wasser floss unter dem Oberflächeneis durch, aber es hatte immer noch Eis auf dem Grund des Flusses. Ich schaffte es, die oberste Schicht zu durchbrechen, klammerte mich an mein Fahrrad und konnte so das andere Ufer erreichen..." Dabei verlor Max seine Uhr und seine Tasche mit dem Goldstaub im Wert von 1,500$, aber zumindest konnte er sein Fahrrad retten - und sich selbst.

Unsere Flussquerung gestaltet sich zum Glück weit weniger dramatisch. Das Wasser ist nur etwa knöcheltief. Wir ziehen stabile Abfallsäcke über die Schuhe und befestigen sie mit Ducttape um die Knie herum. Dann schieben wir die Bikes möglichst schnell ans andere Ufer. Nasse Füsse zu bekommen wäre verheerend.

Vom Pass runter wartet eine tolle Abfahrt auf uns. Jetzt können wir uns sogar vorstellen, dass Bikes schneller als Hunde sein können. Der flowige Downhill bringt uns aus dem schattigen Dalzell Gorge hinaus ins Licht. Jeder Ast, jedes Zweiglein ist mit dichten Eiskristallen überzogen, die jetzt in der Morgensonne glitzern und funkeln; ein magisches Winter Wunderland.

In den nächsten Tagen öffnet sich die Landschaft. Die Gipfel und Grate der Berge werden durch sanft geschwungene bewaldete Hügelzüge, weite Moore und Seen abgelöst. Taigalandschaft. Auch das stabile Hochdruckgebiet haben wir mit Erreichen von Interior Alaska verlassen. Das Wetter wird unvorhersehbar. Am gleichen Tag kann es Nebel, Schnee und Sonnenschein geben, dazu wird es windiger und markant kälter. Der Trail ist abgeblasen, oft rollen wir über steinhart gefrorenen Schlamm oder braunes Sumpfeis. Zumindest stehen wir mit unserer Reifenwahl wieder auf der richtigen Seite.

"Das Eis war schneefrei und die nächsten 20 Meilen schlitterte ich auf dem Eis und fiel immer wieder um. Ungefähr fünf Meilen nach Tanana drehte mein Fahrrad auf dem Eis durch und ich stürzte erneut. Als ich mich wieder aufrappelte, musste ich feststellen, dass ein Pedal abgebrochen war. Ich kehrte um und der Krämer in Tanana sägte mir Holzpedale, bohrte ein Loch durch die Mitte und schraubte sie an die Pedalkurbeln. (...) Die Pedale leierten so alle 75 Meilen aus."

In McGrath machen wir eine wohlverdiente Pause. Für die meisten Fatbiker und Läufer des Trail Invitational ist damit die Ziellinie erreicht. Nur wenige muten sich den Weg bis Nome zu und auch wir sind uns nicht ganz sicher, ob wir weiterwollen. Die nächsten dreihundert Kilometer führen durch menschenleeres Gebiet, keine täglichen Schneemobile mehr, nur zwei Safety Shelter Cabins und ein hoffentlich immer noch gut markierter Trail. Nachdem wir unser Essenspaket auf der Post abgeholt haben und den ganzen Proviant sortieren, beschliessen wir doch wie geplant Ruby und damit den Yukon als nächstes Etappenziel anzusteuern. Wäre ja schade um die neuen Gummibärchen.

"Eagle City war mein nächstes Ziel. Calico Bluff lag 10 Meilen weiter und an der Mündung des Seventymile Rivers lagen die Hütten von Star City, die in kurzer Zeit wie Pilze aus dem Boden gewachsen waren. Es gab dort mittlerweile nicht nur zahlreiche Blockhäuser, sondern auch Saloons, ein Spital und eine Episkopalkirche. Danach passierte ich Rampart City und ein weiteres Native Dorf. In Rampart City gab es Läden, Blockhäuser und weitere Saloons. Die Stadt war Versorgungspunkt für die Goldwaschminen an den nahegelegenen Flüssen."

Während einige der "Citys" am Yukon, welche Max auf seiner Reise ansteuerte, heute wenigstens noch als kleine Orte existieren, gibt es viele der ehemaligen Goldschürfersiedlungen an der Iditarod nicht mehr. Und so sind auch die drei nächsten Dörfer, welche auf unserer Karte eingezeichnet sind, blosse Ghost Towns. In Ophir zeugen noch ein paar zerfallene Hütten von alten Zeiten, Buick Automobile und ein alter VW Käfer stehen bis zur Haube im Schnee, eine verrostete Fördermaschine hängt in einem Graben. Kaum vorstellbar, dass hier einmal über hundert Leute gelebt haben und in den siebziger Jahren noch Gold abgebaut wurde.

Am Abend, nachdem wir Ophir passiert haben, gelingt es uns eine Public Safety Cabine zu erreichen. Wir sind immer froh, wenn wir einen warmen Platz zum Übernachten finden, auch wenn es heisst, dass wir nach einem langen und anstrengenden Velotag noch Holz suchen und spalten müssen. In dieser Nacht heulen Wölfe um die Hütte. Schaurig schön, aber auch ein bisschen gruselig, wenn wir daran denken, dass wir am morgigen Abend Zelten müssen. Und als wir am nächsten Morgen handtellergrossen Pfotenabdrücken auf dem Trail folgen, finden wir es plötzlich mehrheitlich schaurig denn schön.

Doch auch am nächsten Abend haben wir Glück. Am Rand der alten Minenstrasse, der wir seit Poorman, einer weiteren Geisterstadt folgen, hatte vor Jahren ein Chevrolet eine Panne. Und da steht er nun, am vorderen rechten Rad ein Plattfuss, mit dem gelben "Alaska - The last frontier" - Nummernschild und einem unverschlossenen Gepäckraum. Da lassen wir uns nicht zwei Mal bitten. Voilà, Hotel Chevrolet. Es hält uns warm und trocken in einer Nacht, in der ein weiteres Tief übers Land zieht.

Wir erwachen vom Trommeln der Regentropfen aufs Autodach. Nicht gut! In den letzten Tagen sind die Temperaturen drastisch angestiegen. Viel zu früh für die Jahreszeit. Besorgt packen wir zusammen, doch erstaunlicherweise lässt sich der Trail trotz Plusgraden bis Ruby fahren. Und am späten Nachmittag stehen wir schliesslich am Ufer des Yukons. Ein weiteres Etappenziel ist erreicht

Im Native Community Council fragen wir nach einem Schlafplatz, denn die Preise für die regulären Unterkünfte in den kleinen Wildnisdörfern sprengen unser Budget bei weitem. Ed und Evelyn, die beiden Community Manager laden uns spontan in ihre Blockhütte ein. Es sind zwei gestrandete Goldsucher aus New Mexico und wie sich wenig später herausstellt, zwei alte Hippies. Als sie uns unser Bett im Keller des Hauses zeigen, staunen wir nicht schlecht: Eine richtige Hanfplantage wuchert da unter der Wärmelampe und schon bald zieht der Duft von Gras durchs ganze Haus. Ed erklärt uns voller Begeisterung seine Methode, die Nativs für Gartenbau zu begeistern. "First I learn them how to grow Marijuana, and if they've got it they are motivated to grow tomatoes, you know." Auch zu so vielen anderen Themen hat Ed seine ganz eigenen Vorstellungen und Theorien, denen wir aber ohne der fantasiefördernden Wirkung von Hanf nicht immer ganz folgen können. But take it easy, Hauptsache wir können an der Wärme warten, bis am Montag die Post öffnet und wir unser drittes Proviantpaket abholen können.

Pünktlich am Montagmorgen um zehn Uhr betreten wir das Postgebäude. Das Thermometer zeigt wieder -15 Grad und in der Nacht sind zwanzig Zentimeter Neuschnee gefallen. "You should quit here, you know, there's no trail to Galena", meint der Postbeamte und ein weiterer Mann fügt hinzu: "Letzte Woche war noch alles blankes Eis, doch mit dem Neuschnee von diesem Wochenende werdet ihr nicht mehr weit kommen. Es wird noch mehr Schnee geben, und danach kommt wieder Regen." Das hören wir nicht gerne, aber da wir schon viel weiter gekommen sind, als wir selber und viele andere gedacht haben, wollen wir nicht einfach so das Handtuch werfen. Wir laden unseren neuen Proviant und fahren hinunter zum Yukon. Der Trail ist komplett zugeblasen und nur noch anhand der Iditarod Markierungen zu erkennen. Sie sind unsere Lebensversicherung, denn der Yukon hat immer wieder offene Löcher, und wer den Fluss nicht kennt, tut gut daran, strikt den Markern zu folgen. Wir können kaum fahren, mehrheitlich spuren wir uns unseren Trail selber. Ein einziges Schneemobil begegnet uns, ein alter Trapper und Goldsucher, der dreissig Kilometer flussabwärts wohnt.

Die Nacht verbringen wir zeltend auf einer Sandbank. Die Einheimischen hatten recht und wieder schneit es. Dazu kommt der Wind, der tiefe Schneeverwehungen anhäuft. Am nächsten Tag scheint zwar die Sonne, aber wir können keinen Meter mehr fahren. Als wir am Abend endlich Galena erreichen, werden wir als erstes ins Altersheim zu einer warmen Suppe eingeladen. Der rechte Platz für uns, denn nach den achzig Kilometern, die wir in den zwei letzten Tagen geschoben haben, sehen wir wirklich alt aus.

Im Hintergrund läuft das lokale Radio mit den Wetterprognosen. Heftiger Schneefall für die nächsten drei Tage, dann setzt Tauwetter mit Regen ein. Das endgültige Aus für uns. Unter solchen Bedingungen ist an eine Weiterfahrt nicht mehr zu denken. Knapp 1000 Kilometer sind wir auf dem Trail voran gekommen. Doch hier endet unsere Geschichte. Mit einer kleinen Beechraft fliegen wir am nächsten Tag während einer kurzen Aufhellung raus nach Fairbanks. Mit solchen Klimakapriolen hatte Max vor hundert Jahren definitiv noch nicht zu kämpfen. Er war noch Mitte Mai auf dem Eis unterwegs und erreichte Nome fast and furious:

"Ich rutschte auf dem blanken Eis ab. Als ich mein Fahrrad wieder aufstellte, entdeckte ich, dass die Kette abgesprungen und zerrissen war. Zum Glück wehte ein strammer Wind gegen Norden. Ich fand einen Ast, steckte ihn am Rücken unter meinen Mackinaw Mantel und begann Richtung Nome zu segeln. Ich flog dahin, und manchmal, wenn der Wind zu stark blies, musste ich in den weichen Schnee hinaus steuern, um meine wilde Fahrt zu bremsen. Ohne meine Kette konnte ich das Tempo meines Fahrrades kaum mehr kontrollieren..."

Trotz allem erreichte Max Nome am 19. Mai 1900. Unterwegs feierte er seinen zwanzigsten Geburtstag. Was danach mit ihm geschah, wissen wir nicht. Doch wir hoffen, er fand sein Gold und lebte glücklich bis ans Ende seiner Tage.

 

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Verwendete Tagebuchauszüge von Max Hirschberg aus "Wheels on Ice", Northern History Library, Alaska Northwest Publishing Company (vergriffen), Originalquelle "My Bicycle Trip Down the Yukon", Alaska Magazine, February 1978, freie Übersetzung von Brigitte und Ivo Jost, globoride.ch

Die Bilder der "Wheelmen" sind abfotografiert aus "Wheels on Ice", Northern History Library, Alaska Northwest Publishing Company (vergriffen). Originalquellen: 1.) University of Alaska Archives, 2.) Northern History Library, 3.) Seattle Public Library, restliche Bilder aus dem Anchorage Historical and Fine Arts Museum

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