Als wir vor Weihnachten in Basel gelandet sind, gingen wir von einem Kurzurlaub in der Schweiz aus. Die Feiertage mit der Familie verbringen, ein paar Wochen im gleichen Bett schlafen, sich endlich wieder einmal an einem Ort zu Hause fühlen. Und nach dieser Auszeit voller Tatendrang und Entdeckungsfreude zu neuen Zielen aufbrechen. Den Iditarod Trail in Alaska fertig fahren zum Beispiel, oder zurück nach Afrika, doch dieses Mal auf Erdpisten und Singletrails, oder nochmals in die Anden, nach Peru oder Kolumbien. Soweit der Plan. Und dieser Plan war gar nicht schlecht, denn wir brauchten eine Pause. Das Unterwegssein war zum Alltag geworden. Wir fühlten uns gelangweilt von den meist oberflächlichen Begegnungen mit immer wechselnden Menschen, die die immer gleichen Fragen stellten und die immer gleichen Antworten erwarteten. Wir hatten keine Lust mehr darauf das Zelt zum tausendsten Mal zusammenzupacken, zum tausendsten Mal in ein schäbiges Hostelzimmer einzuchecken, zum tausendsten Mal Abschied zu nehmen, zum tausendsten Mal wieder loszufahren. Wir waren reisemüde geworden, die Neugierde auf einen neuen Tag unterwegs war uns abhanden gekommen. Eine Pause war nötig. Viereinhalb Jahre Reisen ohne Unterbruch ist eine lange Zeit.
Kaum zu Hause hatten wir ein Jobangebot in der Tasche. Die Schweiz ist teuer, ein bisschen Geld verdienen, schadet unserer Reisekasse kaum, zudem schätzen wir die Freiheit des Unterwegsseins nach diesem Kurzexkurs in die Arbeitswelt wieder umso mehr, so haben wir argumentiert. Weshalb die Pause nicht bis in den Sommer verlängern? Und so haben wir zugesagt. Doch mit diesem getroffenen Entscheid ging es erst richtig los. Ja, wir hatten etwas vergessen, wie das Leben in der Schweiz tickt...
Als nächstes brauchen wir einen Ort zum Wohnen, denn das Gästezimmer bei den Eltern ist als Kurzzeitbleibe zwar perfekt, aber wie unterwegs wollen wir auch zu Hause nicht auf Kosten anderer leben. Entscheiden wir uns für eine eigene Wohnung, heisst das aber auch, dass wir uns auf mindestens ein Jahr verpflichten müssen, denn so steht es im Mietvertrag. Nun reden wir plötzlich schon von einem einjährigen Reiseunterbruch und spätestens jetzt merken wir, es wird ernst. Wollen wir das wirklich? Ist uns eigentlich klar, was wir damit aufgeben? Die letzten Jahre haben wir von einem Tag zum anderen gelebt, unsere Pläne auf maximal vier Wochen ausgelegt und wenn sich unsere Stimmung geändert hatte, auch spontan wieder über den Haufen geworfen. Nun sollen wir plötzlich Entscheidungen treffen, die mindestens ein Jahr umfassen und die sich nicht mehr so ohne weiteres umkrempeln lassen. Wir gehen Verpflichtungen ein, die uns zwar ein Stück Heimat zurück geben, uns aber gleichzeitig ein grosses Stück Freiheit nehmen.
In den ersten Wochen bewegen wir uns wie auf Glatteis. Unsicher, in den richtigen Bus einzusteigen, unsicher, uns auf vermeintlich bekannten Wegen nicht zu verlaufen. Manchmal suchen wir Geschäfte, und merken dann, dass es sie nicht mehr gibt, oder stehen plötzlich vor erwachsenen ehemaligen Schülern. Sich zu Hause zu bewegen, ist für uns so fremd geworden, wie für einen ungeübten Reisenden, der zu seiner ersten Weltreise aufbricht und das erste Mal seinen bekannten Kulturkreis verlässt. Und doch gibt es immer wieder Momente, in denen wir das Gefühl haben, gar nie weg gewesen zu sein.
An unserem ersten Arbeitstag stehen wir fünfzehn Minuten zu früh an der Bushaltestelle vor lauter Stress, dass wir zu spät kommen könnten. Als wir Richtung Schulhaus laufen und die weissverschneite Jungfrau in unser Blickfeld gerät, wird uns ganz komisch zu Mute. Die früheren Arbeitskollegen haben sich zumindest äusserlich kaum verändert und im Lehrerzimmer dreht sich das Gespräch um die selben Themen wie früher. Und plötzlich sind viereinhalb Jahre doch keine lange Zeit. Wir schlüpfen zurück ins alte Leben wie in einen gut eingetragenen Schuh. Und trotzdem: Da sind die Erinnerungen. Durchlebte Momente mit starken Gefühlen, die ein Prickeln und Reissen auslösen, das sich noch verstärkt, wenn wir auf Instagram die Reisen von Bikepacking Freunden weiter verfolgen, Bilder sehen von Orten, an denen wir selbst erst vor kurzem noch gewesen sind. Und dann möchten wir gleich wieder los. Wir haben uns ans Barfusslaufen gewohnt, der gut eingetragene Schuh drückt.
Inzwischen haben wir nicht nur zur Arbeit, sondern auch zur Wohnung Ja gesagt. Langsam fassen wir wieder Fuss an einem Ort, der sich zwar wie Heimat anfühlt, aber uns doch in vielen Bereichen fremder ist als die weite Welt. Wir spüren, dass es uns gut tut, wieder einmal etwas anderes zu machen als nur Velo zu fahren. Dass wir es schätzen, ein eigenes Heim zu haben und uns mit Themen auseinanderzusetzen, die nicht nur uns selbst betreffen. Wir merken aber auch, dass wir nicht einfach nahtlos ans alte Leben anknüpfen können. Die zahlreichen Begegnungen haben unseren Blickwinkel auf die Welt, aber auch auf uns selbst verändert. Wir sind dankbar für die erlebten Momente, die uns manchmal glücklich und manchmal traurig gemacht haben. Es waren viereinhalb intensive Jahre.
Genau so unspektakulär wie wir im Sommer 2013 aufgebrochen sind, sind wir nun zurückgekehrt. Das passt zu uns und unserem Leben. Keine fixen Pläne, sondern gebotene Möglichkeiten ergreifen und sich vom Gefühl leiten lassen. Mit dem Wissen, dass Entscheidungen nie in Stein gemeisselt sind und wir auch weiterhin die Freiheit haben, unser Leben so zu leben, wie es für uns stimmt. Und es bedeutet auch, dass wir es wieder tun werden. Einfach losfahren, mit Neugierde und offenem Herzen. Wann wissen wir noch nicht, denn jetzt ist es Zeit, zu Hause zu sein.
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