Regenzeit in Ostafrika

Klimawechsel in Stunden: Tausend Meter geht es hinab nach Uganda, es wird grün und tropisch. Hohe Luftfeuchtigkeit, Hitze, Schweiss, Sonnencreme und Strassendreck – nur bloss nicht zelten am Abend, sondern irgendwo eine kalte Dusche suchen. In Kampala entscheiden wir uns für eine Velopause, leisten uns einen Jeep mit Fahrer und gehen auf Safari. Zuerst hoch in den Nordosten des Landes, nochmals raus aus den Tropen ins Dreiländereck Kenya, Südsudan und Uganda. Es wird wieder staubtrocken, eine von der Sonne verbrannte Landschaft, die jetzt vor der Regenzeit nach Wasser lechzt. Der Kidepo Valley Nationalpark war bis vor wenigen Jahren nur per Charter Flug erreichbar, das Land drumherum Kriegsgebiet. Zwanzig Jahre lang dauerte der Bürgerkrieg, in dem die Lord's Resistance Army den Norden Ugandas terrorisiert hat. Nun ist es wieder möglich, auf dem Landweg dorthin zu reisen. Der Park wird trotzdem weiterhin wenig besucht. Gut für uns, denn so haben wir, was wir suchen. Keine Minivans oder Safari Jeeps, kein Kamera-Geklicke; nur wir und die Tierwelt Afrikas.

Riesige Büffelherden ziehen mit den ersten Sonnenstrahlen über die Hügel ans Wasserloch herunter, massige, schlammverkrustete Tiere, mit ihren schwungvoll gebogenen Hörnern, herabhängenden Ohren und feuchten Nasen. Lange schauen wir einer Herde Giraffen zu, Elefantenfamilien ziehen an unserem Camp vorbei. Löwen liegen am Mittag unter einem Baum, hecheln erschöpft in der Hitze, daneben ein frisch gerissener Wasserbock. Wir staunen, hingerissen von unseren ersten Begegnungen mit den „Grossen“ dieses Kontinents, in einer Bilderbuchlandschaft aus wogendem Steppengras und blassblauen Gebirgszügen am Horizont.

Dieses Grenzland ist auch Heimat der Karamojong. Ein altes Hirtenvolk aus Äthiopien, verbrüdert mit den Massai Kriegern in Kenia und den Stämmen am Turkana See. Überbevölkerung hat die Halbnomaden vor Generationen aus dem abbessinischen Hochland in den Süden getrieben.

Auf der Suche nach genügend Wasser und Weideplätzen zersplitterten sie sich in unzählige Volksgruppen. Familien wuchsen, passten ihr Leben den veränderten Umständen an, bildeten neue Stämme. Doch eines blieb ihnen gemeinsam: Sie lebten und starben für ihr Vieh. Freunde wurden zu Feinden im Kampf um die spärlichen Ressourcen. Der Bürgerkrieg brachte Waffen in die Region, brutale und blutige Kämpfe um Wasser- und Weiderechte entbrannten. Ebenso brutal und blutig wurde dann die Region nach Ende des Bürgerkrieges durch die ugandische Regierung entwaffnet. Heute stehen die Karamojong an einem Wendepunkt ihrer Geschichte. Die modernen Krieger in Karamoja kämpfen nicht mehr mit der Waffe in der Hand gegen ihre Nachbarn, sondern gegen die gesichts- und grenzenlosen Feinde der heutigen Zeit, die sie nach jahrelanger Instabilität und Isolation nun einzuholen und zu überrollen scheinen: Klimawandel, Hunger, mangelnde medizinische Versorgung und Bildung. Junge Karamojongs beginnen sich in Hilfsorganisationen zu engagieren, helfen Brunnen und Schulen zu bauen, versuchen aufzuklären und zu vermitteln. Einem solchen Karamojong begegnen auch wir. Elijah ist in einem Dorf in der Umgebung von Kotido aufgewachsen, in der „gun time“ hat er selber eine Kalaschnikov getragen. Hohe Wangenknochen, breite abgeflachte Nase, ebenholz-schwarzer Teint, offener Blick. Gut können wir ihn uns als Hirten und furchtlosen Krieger vorstellen. Doch das ist er nicht mehr. Nun ist er freiwilliger Rotkreuz Mitarbeiter und engagiert sich unter dessen Patronat als Kulturvermittler. Den offenen Blick hat er behalten. Auch den festen Händedruck zur Begrüssung, eine Geste, die den Karamojong wichtig ist, ein Zeichen von Respekt und Vertrauen.

Das Konzept des Roten Kreuzes ist simpel und nachhaltig. Für eine Spende von 100 Dollar ans Regionalbüro in Kotido begleitet Elijah uns zwei Tage. Bargeld zwischen den Karamojong und uns als Besuchern fliesst so keines. Das Rote Kreuz ist mit seinen Gesundheitsprojekten seit Jahren gut verankert, Elijah wird von den Dorfältesten respektiert.

Er bringt uns in sein „Manyatta“, eine mit meterdickem Astgeflecht ummauerte Siedlung aus runden Lehmhütten. Das Herz des Dorfes, erneut von breiten Schutzzäunen umgeben, bildet das Viehgehege. Still und leer ist es, als wir nun darin stehen. Viele der Männer sind mit den Herden in wasserreichere Regionen gezogen. Sie werden mit der Regenzeit hier zurück in ihr Manyatta kommen. Der Dorfälteste begrüsst uns, stellt seine Familie vor. Gesichter von Frauen, Männern und Kindern, oft geschmückt mit Ohrringen, Ziernarben und Halsketten. Früher Zeichen des gesellschaftlichen Rangs, Auszeichnungen für Mut, Kraft und Tapferkeit, Beweise, dass das Clanmitglied ins Erwachsenenleben eingetreten ist. Heute, wie uns Elijah erklärt, immer weniger mit Initationsriten oder speziellen Taten verbunden. Heute könnten Jugendliche oft selber entscheiden, ob sie sich die feinen Schnitttätowierungen noch machen lassen wollen, und welchen Schmuck sie tragen. Es wird Abend. Eine Gruppe Jugendlicher tanzt. Sie üben mehrmals pro Woche zusammen, träumen davon ausserhalb von Karamoja bekannt zu werden. Auch sie auf dem Weg, die Vergangenheit als Krieger hinter sich zu lassen, sich neu zu orientieren und trotzdem nicht ihre kulturelle Identität aufzugeben. Schellenkränze an den Füssen, farbige Ketten um die Taillen. Rhythmisches Stampfen, hohe Sprünge, dumpfe Hornstösse, Lieder, die vom Frieden erzählen. Ein Aufbruch? Elijah übersetzt unsere Dankesworte. Er ist es auch, der uns am nächsten Morgen zum Viehmarkt etwas ausserhalb von Kotido begleitet. Er ist das Bindeglied zwischen den Leuten, die hier wöchentlich zusammenkommen und uns, die wir ohne ihn fehl am Platz und fremd wären. Denn kein touristisches Ereignis ist es, dem wir hier beiwohnen.

Unsere Anwesenheit bedarf der Erklärung, damit sie verstanden und akzeptiert wird. Elijah schüttelt Hände, wechselt Worte. Der Respekt zwischen ihm und seinen Leuten überträgt sich auf uns. Kräftiger Händedruck, freundliches Lachen. Da wird gefeilscht, geprüft und verhandelt, geschwatzt und Neuigkeiten ausgetauscht. Bald ist die Situation so entspannt, dass wir auch mit Fotografieren beginnen können. Elijah übersetzt unsere Bitten und nie ist da auch nur die Andeutung einer Frage nach Geld. So wird der Markttag bei Kotido zu der Begegnung mit ursprünglicher afrikanischer Kultur, die wir seit der Durchquerung des Omo Tals gesucht haben.

In Uganda entspringt der längste Fluss der Welt, der Nil. In Ägypten sind wir ihm das erste Mal begegnet, haben im Sudan sein Wasser aus den kühlen Tonkrügen im Schatten der Lokandas getrunken, in Äthiopien dann die Quelle des blauen Nils hinter uns gelassen. Nun schaukeln wir auf einem kleinen Motorboot in den jungen Wassern des weissen Nils. Eine lange Reise steht ihm bevor. Wir kennen sie. Nilpferde baden im Schaum, den der Wasserfall weiter oben geschlagen hat, Elefanten verpassen sich eine Morgendusche.

Kreischende Vogelschwärme, Seeadler und sogar der seltene Shoebill Storch nisten hier im Delta des Murchison Falls Nationalparks, einer weiteren Station auf unserer Velopause. Wir erleben einen magischen Morgen, als die Sonne langsam am Ende des silbrigen Wasserbandes emporsteigt und zwei Kraniche vom Ufer hinaus auf den Lake Albert fliegen. Wann haben wir das letzte Mal Kraniche gesehen? In der Mongolei muss es gewesen sein, letzten Sommer. Doch diese hier sind grösser, mit feinen Federbüscheln auf dem Kopf, das Wahrzeichen Ugandas.

Noch verbringen wir einen Tag mit den Schimpansen im Budongo Forest. Sie haben einen festen Tagesablauf: Essen, ausruhen, essen, schlafen. Dazwischen gibt es mal Action und das Alpha Männchen rennt los, um astbrechend und bodytrommelnd einen vermeintlichen Eindringling aus seinem Paradies zu vertreiben. Dann ist er der King und lässt sich von einem Weibchen lausen. Wie menschlich. So könnten wir uns unser Leben auch vorstellen. Doch für uns heisst es nach zehn Tagen Velopause wieder „fertig Flohnerleben“.

Wir sind um ein paar Afrika Bilderbucherlebnisse reicher, doch auch um ein geschätztes doppeltes Monatsreisebudget ärmer. Wenn man das Afrika der TV Dokus und Hochglanzbildbände erleben will, dann braucht es ein dickes Portmonee. Und dass wir das haben, können wir unmöglich länger vorbluffen. Schnell sind wir zurück im afrikanischen Alltag, weit weg von allen Luxuslodges und den schönen Safariparks. Hier wird wieder geschwitzt und geschuftet. Die Afrikaner fürs Überleben und wir um vorwärts zu kommen.

Der letzte schöne Tag. Wir überqueren den Äquator. Sonnenschein und klare Sicht auf die Rwenzori Berge. Hoch erheben sie sich zu unserer Rechten, Gebirgskämme, in der Ferne ein Gletscher. Über Nacht ziehen Wolken auf und die Regenzeit beginnt. Jeden Tag gibt es nun starke ein- oder zweistündige Gewitter. Auf der Erdpiste am Lake Buyoni entlang erwischen wir zum Glück eine trockene Phase und so bleiben wir nicht im Schlamm stecken. Wie ein blaues Auge umgeben von Lachfalten, liegt der See eingebettet zwischen kleinen Feldern, die sich die steilen Hänge hochziehen. Es ist der Anfang der Hügellandschaft, die uns auf unserem weiteren Weg durch Ruanda und Burundi begleitet. Trotz den knackigen Steigungen, die nun folgen, sind wir schnell unterwegs. Wir haben ein Boot zu erreichen, das uns über den Tanganika See in Tanzania bringt, und das legt in sechs Tagen ab. Es fährt nur alle zwei Wochen. 590km und 10'200 Höhenmeter – harte Arbeit in so kurzer Zeit, doch es lohnt sich, möglichst rasch Boden gut zu machen, um der Regenzeit zu entkommen.

Die MV Liemba. Ein Schiff aus Deutschland, das seit dem ersten Weltkrieg den Tanganika See befährt. Zweimal lag es bereits auf dem Seegrund, wurde wieder geborgen, restauriert und fährt nun weiter auf seiner endlosen Fahrt, bringt und holt Güter von den isolierten Dörfern am Seeufer, transportiert Passagiere von Tanzania nach Zambia. Wir legen ab, der See weitet sich zum uferlosen Meer. Scheinbar zischend und dampfend versinkt die Sonne im Wasser, Wolkentürme hinterlassend, die sich am Horizont auftürmen. Wogend und brodelnd füllen sie rasch den Himmel aus, schicken eine Lightshow aus Blitzen und trocken berstendem Donner über die Bühne. Das Finale wird vornweggenommen, Ende des ersten Aktes. Der Regenvorhang fällt.

In der Nacht halten wir das erste Mal. Die Wolkenwände haben sich verzogen, ein klarer Sternenhimmel, ein heller Mond. Das Schiffshorn dröhnt, Rufe antworten ihm übers Wasser. Bald entern uns grosse Holzboote, fliegende Händler bringen Trinkwasser, fritierten Fisch, gekochte Bananen. Die Rufe und Menschen schwabben an Bord, Scheinwerferlicht flutet über das Deck, die perfekte Open Air Bühne. Auftakt zum zweiten Akt. Wir haben Logeplätze am Geländer der ersten Klasse und verfolgen gespannt das Getümmel. Der Ladekran hievt Kisten von Bord, in einer Ecke kommt es zum Handgemenge. Die Schiffsglocke läutet, das Horn dröhnt übers Wasser, eilig klettern die Händler in ihre Boote, gleiten aus dem Lichtkegel zurück ins Dunkle.

Dritter und letzter Akt: Die Rollen sind vertauscht, wir erneut zu den Akteuren und die Menschen um uns zu Zuschauern geworden. Vom Bühnenrand rufen sie uns ihr „How are you“ zu, Zambias Begrüssung. Wir hören sie gern nach dem einfältigen „Muzungu, Muzungu give me...“ der letzten Länder. Die Kulisse eine gerade Strasse, gesäumt von saftiggrünem, mannshohem Elefantengras, darüber ein grauer, triefender Himmel. Die täglichen Regengüsse sind nun ausgiebig, die Sonne bricht fast kaum mehr durch. Unsere Rolle im Stück ist einfach: Treten so weit wir kommen, Tag für Tag, quer durchs Land. Die Distanzen in Zambia sind gross. Tausend Kilometer bringen uns auf der Great North Road in die Hauptstadt Lusaka. Fünfhundert Kilometer geht es von hier weiter an die Grenze bei den Victoriafällen. Langsam wird das Gras wieder brauner, die Regenstunden weniger und kurz bevor wir Livingstone erreichen, ist da der erste sonnige Tag: Die Wolken fortgeblasen von einem frischen Südwind, ein klarer blauer Himmel, geschärfte Farben. Es bleibt vierundzwanzig Stunden trocken. Abgang der Regenzeit. Standing Ovations.

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