Der Fluss schaeumt und rauscht. Zu viel Wasser fuer diese Jahreszeit. Der Winter war hart. Schneereste kleben noch unter den Gipfeln, flecken die kargen Abhaenge wie das Fell eines Schneeleoparden. Ein paar braune Spritzer klatschen vom Panj River hoch, lechzen nach dem schmalen Saumpfad, der sich auf der gegenueberliegenden Seite an die Boeschung krallt. Ein bepackter Esel wird von einem Mann vorangetrieben, dessen Gesichtszuege unter seinem Turban verschwimmen.
Wir radeln weiter, konzentrieren uns auf die Schlagloecher. Warum gibt es auf der anderen Flussseite diesen Weg? Reicht eine Strasse in diesem Flusstal nicht? Ein Blick auf die Karte. Dort wo eigentlich die blaue Linie des Flusses sein sollte, schlaengelt sich ein violettes Band durchs Tal. Die Grenze - Afghanistan. Irgendwie haben wir es verdraengt, ist die Fahrt mit dem Taxi von der heissen tajikischen Hauptstadt Dushanbe nach Kalaikum zu schnell gegangen. Die Eindruecke waren zu stark. Bewaffnete Aufstaende und Polizeisaeuberungen vor wenigen Tagen haben uns auf dieser Strecke vom Fahrrad in den Jeep gezwungen. 300 Kilometer sind hinter der Winschutzscheibe an uns vorbeigezogen. Die Gedanken sind bei den sprudelnden Springbrunnen und breiten Alleen in Dushanbe haengengeblieben. Jetzt haben sie uns eingeholt. Wir vergleichen das Kartenbild mit den Windungen des Flusses, dem Weg, der Strasse – Afghanistan.
Wenige Meter trennen uns von einem anderen Land. Ein Fluss, weiter nichts. Und doch scheint die Welt hier auseinanderzuruecken. Wir rollen auf Asphalt, auf der anderen Seite klebt der Eselpfad. Der Fluss schneidet eine Kluft zwischen dem hier und dort. Links und rechts erheben sich Fuenf- und Sechstausender. Eine perfekte Grenze. Unueberwindbar, moechte man meinen, und doch hat Tajikistan in der Kriegszeit hier noch Landminen gesetzt. Unueberwindbar, und doch fliegen unsere Gedanken zu diesem Mann mit dem Esel, der nun in unserem Ruecken weiterzieht. Wie lebt er? Was denkt er ueber die Touristen, welche auf der Teerstrasse vorbeiradeln? Bestimmt hat er uns bemerkt, bestimmt schweifen auch seine Gedanken ueber die Grenze. Scheinbar unueberwindbar. Das Tal weitet sich, kleine Lehmhuetten kleben an den Haengen. Eine Frau huscht von einer Tuer zur anderen, ein roter Tupfer nur. Die Sonne verschwindet hinter den Bergen, Schatten fingern die Haenge hoch. Hier und dort. Eine Schattenwelt, egal auf welcher Seite man steht.
Von Zeit zu Zeit oeffnet sich am anderen Flussufer ein Riss in den schroffen Talflanken. Ein Gletscherbach bahnt sich seinen Weg von den gleissenden Gipfeln hinunter zum Panj, der hier im oberen Teil des Wakhan Tals maeandert. Solche Einschnitte geben die Sicht frei, hinein in den Hindukusch. Gehoert dieser Abhang nun noch zu Tajikistan? Liegen diese Steine auf afghanischem Boden? Reicht das blaeulich schimmernden Schneefeld wohl bis Pakistan? Neugierig spaehen wir in die Seitentaeler jenseits der Grenze, wie ein vorwitziges Kind durch ein Schluesselloch.
Man vermutet, dass die Leute waehrend Kriegszeiten hier in den schwer zugaenglichen Bergtaelern Schutz suchten, und ihre eigene Sprache mitbrachten. Durchziehende Karawanen haben Vorstellungen und Glauben gepraegt und durchmischt. Immer wieder halten wir in den Dorfern Ausschau nach blauen Augen, den Augen von Alexander dem Grossen und den Seidenstrassenhaendlern aus dem Westen.
Die Piste schraubt sich hoeher. Fussballgrosse Steine, kristallklare Hoehenluft. Ein Bus singender Chinesen faehrt vor. Die Passagiere klatschen mit weiss behandschuhten Haenden Beifall. «Jesus loves you», meint der Fahrer zum Abschied. Das Echo seines Satzes verpufft in der Weite, verliert sich rasch zwischen den majestaetischen Gipfeln des Pamirs. Auf dem Top holt uns ein amerikanischer Fotograf mit dem Jeep ein. Stellt Fragen, schiesst Bilder. Er arbeitet fuers Adventure Magazine. Tolle Fotos: Rotes Jaeckchen, weisse Berge, blauer Himmel. «Faehrt ihr auch ab und zu off road?», will er wissen. Wir verstehen nicht ganz.
In Murghab lernen wir Betty und Jean Pierre kennen, ein Radlerpaar Anfang Sechzig. Alle haben wir zu viel Zeit, koennen wegen den Visa nicht bereits nach Kirgistan ausreisen und beschliessen, gemeinsam ein Trekking zum Grum Grschimailo Gletscher zu unternehmen. Wir radeln weiter nach Kara Kol, doch das Unterfangen scheint bereits am fehlenden Auto zu scheitern, welches uns zum Ausgangspunkt des Trekkings bringen soll. Zum Glueck fahren nach einem Tag zwei deutsche Touristen vorbei, welche nach Osh und zum rettenden Natelnetz weiterwollen und uns einen Jeep aus Murghab organisieren.
Das Trekking von Pasor zum Gletscher wird einer der Hoehepunkte des ersten Monats. Zwar sind auch hier die buerokratischen Huerden hoch gesteckt, und immer wieder treffen wir auf obskure Beamte, welche Geld fuer das Wandern im Nationalpark einfordern, aber die archaische Gletscherwelt, in die wir auf unserer viertaegigen Wanderung mit Esel und Rucksack vorstossen, ist unbeschreiblich. Wir wandern, bis uns Hoehe, Schnee und Eis zur Umkehr zwingen.
Drei Adler kreisen in der Luft, schwingen sich hoch, schreien. Haarnadelkurven winden sich tausend Hoehenmeter hinunter ins Tal. Letzte Nacht hat es im Niemandsland zwischen Tajikischer und Kirgisischer Grenze das erste Mal geschneit. Weissbepuderte Spitzen. Die Vorfreude auf den Herbst im Tien Shan treibt uns voran. Osh ist schnell erreicht. Hier merken wir nichts von den herbstlichen Vorboten auf viertausend Metern. Es ist warm, aber die wuestenhaften Temperaturen von Anfang August gehoeren endgueltig der Vergangenheit an. Ein Hotel mit Waschmaschine scheint uns jetzt wichtig - und der Supermarkt sollte auch nicht allzuweit sein. Ja, wir geniessen den Komfort in der zweitgroessten Stadt Kirgistans. Aber die offene Karte im Zimmer zeugt auch davon, dass wir bald wieder rauswollen, aufs Land, in die Berge - zu den Adlern.
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