„Solange dein Pferd stark ist, reise und lerne Orte kennen.“
Uliastay. In keinem Reiseführer explizit erwähnt, auf der Landkarte bloss ein kleiner Punkt. Aimag Hauptstadt der Zavkhan Provinz, doch eigentlich ist es nur ein kleines nichtssagendes mongolisches Dorf. Kein Ort, den man gesehen haben muss. Und ganz sicher kein Ort, an den man zurückkehrt. Und doch hat uns unser Weg ziemlich genau an unserem Vierjahres Jubiläum dahin zurück geführt. Warum? Weil sich auf einer Langzeitreise Kontinente, Länder und Orte zu überschneiden beginnen. Weil sich im Laufe der Zeit die Reiseroute ändert, weil wir selten länger als zwei Monate zum Voraus planen und so nie genau wissen, wo wir als nächstes landen. Weil die Welt unendlich weit ist und Unmengen an Möglichkeiten und Überraschungen bereit hält. Weil wir uns mehr und mehr von unserer Laune und dem Wind leiten lassen.
„Einmal gesehen ist besser als tausendmal gehört.“
Seit wir vor sieben Jahren eher unvorbereitet in den Mongolischen Winter gestolpert sind, nimmt die Mongolei einen besonderen Platz in unserem Herzen ein. Es ist dieses typische Phänomen, dass Erlebnisse, die einem an die persönlichen Grenzen bringen, besonders leuchtend in der Erinnerung bleiben. Und die bitterkalte Zeit in der Mongolei hat uns damals mehr als einmal an unsere Grenzen gebracht, psychisch und physisch. Wir haben die Querung des zur Stille erstarrten Landes nur dank der Gastfreundlichkeit der mongolischen Nomaden geschafft. Und wie so oft hat der Kopf im Anschluss seine Sortierarbeit hervorragend erledigt. Die schlimmen Momente, die Zeiten, wo wir an uns und unserer Vernunft gezweifelt haben, hat er fein säuberlich gelöscht oder weit in die verstaubten Winkel des Hirns geschoben. Lebendig geblieben sind dafür die Bilder der warm geheizten Jurten, des schäumenden Milchtees, des sanften Winterlichts, des krachenden Seeeises. Es sind Erinnerungen und Erfahrungen, die uns geprägt und uns gezeigt haben, dass sich persönliche Grenzen weiter schieben oder sogar überwinden lassen.
Es ist immer gefährlich, an einen Ort zurückzukehren, mit dem man solch starke Emotionen verbindet. Das Risiko enttäuscht zu werden, ist viel grösser, als wenn man sich in unbekannte Regionen vorwagt. Es sind die eigenen Erwartungen und nicht Beschreibungen anderer Reisenden, die auf den Prüfstand gestellt werden. Und wir wissen nur zu gut, die Zeit bleibt nirgendwo stehen, schon gar nicht bei uns. Und deshalb schauen wir nun etwas ängstlich aus dem Zugfenster und fragen uns: Hat sich auch die Mongolei verändert?
„Ein Mann mag kein Herz haben, aber bestimmt hat er einen Magen.“
Der Platzkart Waggon der Transsib von der südlichen Grenze nach Ulan Batar ist gut gefüllt. Viele Familien, Paare und Händler sind auf der Rückreise von China. Schwere Koffer, Kartons mit Elektronikgeräten und in Plastik verpackte Ballen werden auf die obere Ablage gewuchtet und unter den Sitzen verstaut. Ein Mongole in unserem Alter, der in Beijing Chinesisch studiert und auch etwas Englisch spricht, setzt sich zu uns. Dank seiner Hilfe reisen unsere Fahrräder im selben Zug und fahren wir zum Preis der Einheimischen. Sechs Dollar für 14 Stunden. Das reicht in Bern gerade für die innerstädtische Tramlinie. Bahadur freut sich auf seine Ferien in der Heimat. „The meat in China is shitty“, vertraut er uns an. Keinen Geschmack habe es und wenn er jeweils zurück nach Beijing gehe, dann sei einer seiner Koffer immer mit gutem mongolischem Fleisch gefüllt. Die Zugbegleiterin, bei jedem Holpern auf den rostigen Weichen gefährlich in ihren High Heels schwankend, schiebt den Essenswagen an uns vorbei. Wir wählen uns das Nationalgericht „Tsüivan“ aus, Nudeln mit kleinen Karrottenstückchen und natürlich erstklassigem mongolischem Schaffleisch. Ja, und da ist er, der Geschmack aus unserer Erinnerung. Im Winter war dieses fettige Schafffleisch unser Brennstoff, überlebenswichtig um in der Kälte bestehen zu können, doch jetzt im Sommer… „very good“ nicken wir tapfer. Na ja, zumindest beim Essen ist alles beim Alten geblieben.
„Wer dem Lauf der Sonne folgt, wird niemals frieren.“
Nach der Registrierung und Visaverlängerung in Ulan Batar steigen wir endlich wieder aufs Fahrrad. Die höchsten Bergketten haben wir uns dieses Mal auf der Karte eingezeichnet. Die Khoridol Saridag Mountains im Norden, die Kanghai Mountains im Zentrum, der Altai im Osten. Und dazwischen weite Steppe, Flusstäler, Seen, Wälder. Land der Nomaden. Es wird eine fantastische Strecke auf kleinen Erdpisten, alten zu Singeltrails zerfallenen Fahrspuren und kurzen Hike-a-Bike Abschnitten über die höchsten Pässe. Es ist weit, einsam und wild. Wölfe heulen um unser Zelt, singen uns mit dem Lied des hohen Nordens in den Schlaf. Die Wiesen leuchten in einem bunten Potpurri aus Alpenblumen. Die Bergbäche sind kristallklar und eiskalt. Perfekt um mit einem abendlichen Bad den Tagesschweiss darin abzuwaschen. Wir folgen der Sonne.
„Schnellen Hasen klebt oft Scheisse an den Waden.“
Viele der Hochtäler sind verlassen. Zwar kommen wir hin und wieder an ein paar alten Stallungen aus groben Baumstämmen vorbei, doch die Nomaden sind nicht mehr da. Wir werden Zeugen der Abwanderung, werden Zeugen, wie eine uralte Lebensweise im Schnellzugtempo der Modernität weicht. Auch wenn die Mongolei als Land ihrer Bevölkerung in den Städten kaum Perspektiven bieten kann, wie uns Bahadur im Zug erzählt hat. Die verlassenen Täler machen uns traurig, und wenn wir in eine der kleinen Ansiedlungen kommen, verstärkt sich das Gefühl noch. Die Menschen wirken unzufrieden, unglücklich. Kaum jemand lächelt, auf unser freundliches „Sainbaino“ kommt oft ein mürrisches zurück. Die kleinen Tante Emma Läden sind mit Schnaps gefüllt. Was ist los? So haben wir die Mongolen nicht in Erinnerung. Erleben wir wirklich mit, wie die alte Gastfreundschaft im Kommerz aufgeht? Wie sich die Stille im Land ausbreitet...
„Unterwegs sein heisst frei sein.“
Am 18. Juli erreichen wir Uliastay. Mit Preiselbeerkompott von EDEKA - Gut & Günstig feiern wir 60’000km und den Beginn unseres fünften Reisejahres. Ob wir manchmal ans Zurückkehren denken? Ja, manchmal. Manchmal ertappen wir uns dabei, wir wir von zu Hause sprechen, wie wir eine leichte Sehnsucht in uns spüren, wieder einmal länger an einem Platz verweilen zu dürfen. Nicht bloss ein Fremder auf der Durchreise zu sein, sondern jemand, der sich zu Hause fühlt. Doch dann blicken wir hinauf in den funkelnden Sternenhimmel, fahren hinein in den Sonnenaufgang und denken: „Nein, jetzt noch nicht.“
Und so fahren wir weiter Richtung Westen, Richtung Altai. Und hoffen darauf, dass wir nebst der landschaftlichen Schönheit der Mongolei auch wieder ihre wahre Seele finden werden. Denn das ist, was uns am Stärksten in der Erinnerung brennt: Das Lachen, die Herzlichkeit und die Wärme ihrer Bewohner.
Es interessiert dich, wie wir die Mongolei im Winter 2010 erlebt haben? Hier kannst du unsere Reportage im Globetrotter Magazin lesen: globetrotter-mongolei.pdf
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