Magic Bus

Die logistischen Vorbereitungen fuer unsere Inylchek Tour dauert mehrere Tage.‭ ‬Wir muessen in Karakol Proviant fuer‭ ‬14‭ ‬Tage besorgen und abpacken.‭ ‬Drei Tage fuer unsere Hinfahrt per Velo zum Inylchek Basecamp,‭ ‬sieben Tage Trekking zum Merzbacher Lake und ueber den Tjuz Pass,‭ ‬vier Velotage bis zur kasachischen Grenze.‭ ‬Dabei gilt es einen zuverlaessigen Bergfuehrer zu finden und die Spezialgenehmigung fuer diese sensible Grenzregion zu besorgen.‭ ‬Am Ende klappt alles.‭ ‬Der Bergfuehrer ist zur richtigen Zeit am richtigen Ort,‭ ‬die Velos werden puenktlich abgeholt und nach sieben Tagen ins gewuenschte Tal gebracht,‭ ‬die Militaerstempel sind gesetzt und unser Proviant auch ohne gefriergetrocknete Outdoornahrung trekkingtauglich.‭ ‬Nur die zentralasiatische‭ “‬Salami‭” ‬war wohl doch keine Dauerwurst.‭

Die erste Probuskkontrolle erfolgt mitten auf der Strasse.‭ ‬Ein rostiger Lastwagen haelt an,‭ ‬ein Military springt eifrig heraus.‭ ‬Es beginnt schon zu daemmern.‭ ‬Zum Glueck haben wir uns ueber die genauen Checkpoints informiert.‭ ‬Eine Schmiergeldgeschichte,‭ ‬wie wir sie beim Pamirtrekking erlebt haben,‭ ‬wollen wir wenn moeglich vermeiden.‭ ‬Wir sind uns einig:‭ ‬Der Typ erhaelt hier weder unsere Paesse noch unsere Dokumente.‭ ‬Das Sperrgebiet ist noch weit.‭ ‬Der Militaermann schreit herum,‭ ‬versabbert unsere Landkarte,‭ ‬wedelt mit seiner roten Idaentitaetskarte,‭ ‬zieht schliesslich mit seinem stinkenden Ungetuem ab.

Inylchek,‭ ‬die Welt erstarrt.‭ ‬Schnee und Eis,‭ ‬Fels und Himmel.‭ ‬Eine Landschaft aus der Urzeit.‭ ‬Donnernde Steinlawinen,‭ ‬stiebende Eisbrueche,‭ ‬himmelhohe Berge.‭ ‬Den Merzbacher See erreichen wir nach drei anstrengenden Wandertagen entlang der rechten Gletschermoraene.‭ ‬Er ist leer.‭ ‬Jeden August bricht das angestaute Wasser den Damm und ueberflutet das Tal.‭ ‬Nun ist der Platz eine zinnenbewehrte Eismauer.‭ ‬Ein silberner Vollmond steigt ueber das Merzbacher Camp,‭ ‬der Gletscher knallt in der Kaelte.

Der‭ ‬4000‭ ‬Meter hohe Tjuz Pass ist weiss.‭ ‬Erst auf der Passhoehe wissen wir,‭ ‬ob wir ihn queren koennen.‭ ‬Auf der Nordseite liegt ein halber Meter Schnee.‭ ‬Unser Bergfuehrer gibt das OK zum Abstieg ins Nachbartal.‭ ‬Stille.‭ ‬Die Berge halten Winterschlaf.

Wir stehen zwei Tage zu frueh an der kasachischen Grenze.‭ ‬Die Velostrecke von Eskilitash nach Karkara war nur halb so lang als erwartet.‭ ‬Was sollen wir machen‭? ‬Bestechen und zwei Tage zu frueh an der Kontrolle erscheinen‭? ‬Wuerde vielleicht funktionieren.‭ ‬Und wenn uns die Kirgisen rauslassen und die Kasachen nicht rein‭? ‬Wir wuerden in der Steppe haengen wie‭ Viktor Navorski ‬im Film the Terminal.‭ ‬100‭ ‬Kilometer in die falsche Richtung pedalen und vielleicht ein Hotel finden.‭ ‬Bei den drei Haeusern an der letzten Kreuzung anklopfen und erklaeren,‭ ‬dass wir gerne zwei Tage und Naechte hierbleiben moechten‭? ‬Wir probieren es mit der Gastfreundschaft.‭ Die Bauern gucken irritiert,‭ ‬aber zehn Minuten spaeter haben wir unsere Bleibe. Ein gelber,‭ ‬ausrangierter Bus.‭ ‬Wir haben schon an den ausgefallendsten Orten genaechtigt,‭ ‬aber dieser Aufenthalt wird ein Unikum.‭ ‬Die Kiste hat sogar einen Fernseher.‭ ‬Zwei Tage lang schuettet es.‭ ‬Der Bus leckt,‭ ‬wir muessen Becher unterstellen,‭ ‬damit die Schlafsaecke nicht nass werden,‭ ‬aber sonst ist es gemuetlich.‭ ‬Ein kleiner Magic Bus.‭ ‬Ein Stueck Alltag am Ende von Kirgistan.

Karkara:‭ ‬Grenze zwischen zwischen Steppenreiter und Bergnomaden,‭ ‬zwischen Kasachen und Kirgisen.‭ ‬Zwei Nationen,‭ ‬die bis vor einigen Jahrzehnten nur durch die Vorliebe einer anderen Landschaft unterschieden wurden.‭ ‬Jetzt auf dem Papier getrennt.‭ ‬Zwei Huetten und ein Schlagbaum auf einer durchloecherten Asphaltstrasse.‭ ‬Ein kleiner Fluss.‭ ‬Tschingis Aitmatov laesst hier in seinen Buechern die turkischen Reiterhorden vorbeiziehen,‭ ‬in Gulsary treten die beiden Voelker wie noch heute zum jaehrlichen Freundschaftsturnier gegeneinander an.‭ ‬Im Sommer ist diese weite Ebene von Jurten uebersaeht.‭ ‬Sind es kasachische,‭ ‬kirgisische‭? ‬Am‭ ‬10.‭ ‬Oktober koennen auch wir auf die andere Flussseite wechseln.‭ ‬Der Wind empfaengt uns in der Weite.

Die Fahrt in eine grosse Stadt ist immer gleich.‭ ‬Zuerst aendert sich nur wenig.‭ ‬Der Asphalt wird besser.‭ ‬Im Laden an der Strasse gibt es ploetzlich wieder Lipton Eistee.‭ ‬Dann kommen die Autos.‭ ‬Am Anfang nur zaghaft,‭ ‬dann zahlreich und schnell.‭ ‬Man faehrt wie in einem Staubsaugerrohr.‭ ‬Ein unsichtbarer Luftstrom scheint alles an sich zu reissen.‭ ‬Die Strassen werden breiter,‭ ‬die Haeuser groesser,‭ ‬die Ueberholmanoever unkontrollierter.‭ ‬Alles strebt zur Superlative.‭ ‬Auf dem Weg nach Almaty ist das Schlauchgefuehl perfekt.‭ ‬Kilometerlang versperren Baeume links und rechts der Strasse den Blick zur Aussenwelt.‭ ‬Es existiert nur noch der Weg und das Ziel.‭ ‬Nach den Autos kommen die Meilen.‭ ‬Die Gemuesemeile,‭ ‬die Obstmeile,‭ ‬die Fleischmeile.‭ ‬Hier versorgen sich die Hanedler mit den Landwirtschaftsprodukten fuer die Stadt.‭ ‬Tuerme aus Kartoffeln,‭ ‬Tomaten,‭ ‬Gurken,‭ ‬Zwiebeln,‭ ‬Trauben,‭ ‬Aepfeln,‭ ‬Orangen,‭ ‬alles verschwindet in den Autos,‭ ‬rast zum Zentrum.‭ ‬In Zentralasien passiert man auch noch die Zement-‭ ‬und Kaffeemeile.‭ ‬Zuletzt warten die Anhalter.‭ ‬Dann beginnen die Autos zu stocken,‭ ‬die Luft wird stickig,‭ ‬das Pedalen eine Qual.‭ ‬Warum zieht es uns zu den Staedten‭? ‬Wozu sollen wir uns dieser Hektik aussetzen‭? ‬Warum verlassen wir einsame Strassen und freundliche Menschen,‭ ‬tauschen den glitzernden Sternenhimmel gegen einengende Zimmerdecken‭? ‬Strassenstress fuer Luxustraeume.‭ ‬Eine warme Dusche,‭ ‬ein weiches Bett.‭ ‬Die Haeuserschluchten fallen ueber uns zusammen.‭ ‬Nachtessen im Pizza Hut.‭

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