Mingalaba! Es tönt wie ein Zauberspruch, das burmesische Hallo. Mingalaba - Simsalabim! Und als bezauberndes, märchenhaftes Land wird Myanmar seit kurzer Zeit auch weltweit vermarktet. Als Top Destination 2017 gekürt, als Land des goldenen Lächelns gepriesen, als Exklusivität gehandelt: Jetzt musst du gehen, jetzt kurz nach der Öffnung, bevor das Land seine einmalige Authentizität verliert und "modern" wird. Für uns wirken solche Aussagen oft abschreckend. Schon zu oft haben wir ein "Must-see" besucht und sind danach mit einem "na ja, ganz nett" weitergezogen. Für uns macht der Reiz des Reisens nicht das Abklappern von Sehenswürdigkeiten aus, sondern das, was dazwischen liegt. Und so weckt die Aussicht auf Myanmar gemischte Gefühle in uns. Mingalaba - Simsalabim! Vorsichtig heben wir das magische Tuch.
Doch die Tür nach Myanmar öffnet sich nicht wie bei Ali Baba mit einem einfachen "Sesam öffne dich". Über eine dubiose Reiseagentur organisieren wir uns zusätzlich zum Touristenvisa das teure Spezialpermit, ohne das wir offiziell nicht auf dem Landweg von Indien her einreisen dürfen. Die ganze Prozedur ist undurchsichtig und wir fühlen uns nach der Einreise ein bisschen, als wären wir gerade von den vierzig Räubern ausgenommen worden. Nur dass die vierzig Räuber in unserem Falle Grenzbeamte in Uniform und ein Jüngling mit vom Betelnusskauen rot verfärbten Zähnen war, der als Kontaktperson vor Ort mit unseren Dollars wohl an den richtigen Stellen geschmiert hat. Mingalaba - Simsalabim! Der Schlagbaum hebt sich und wir sind drin.
Achtundzwanzig Tage haben wir Zeit, etwas über zweitausend Kilometer liegen vor uns. Siebenmeilenstiefel sind gefragt. Bei der Routenplanung stellt sich rasch heraus, dass Myanmar nicht gerade mit ausserordentlicher landschaftlicher Schönheit gesegnet ist. Eine weite Ebene, durchzogen vom breiten Himalayaabfluss Irrawaddy, beidseits ein endloser Flickenteppich aus Reisfeldern. Im Westen eine bewaldete Bergkette und dann die Küste am Golf von Bengal. Im Osten das Shan Gebirge, zurzeit noch Sperrgebiet. Trotzdem versuchen wir eine möglichst abwechslungsreiche Route zusammenzustellen und auch immer wieder auf kleine Erdpisten durchs Hinterland auszuweichen. Und genau diese Abschnitte werden dann auch die Interessantesten für uns.
"He-he-he-he-he", tönt es durch die Abenddämmerung, als wir einen kleinen Flusslauf auf einer Bambusbrücke überqueren. "He-he-he-he-he", in einer leicht aufsteigenden Tonfolge. Erstaunt schauen wir uns um. Auf der gegenüberliegenden Kanalseite wandert ein junger Mann in unsere Richtung und ihm folgen Hunderte von Enten im Gänsemarsch. Eine hinter der anderen, emsig watschelnd, wie Hänsel und Gretel einer für uns unsichtbaren Brotkrümelspur folgend. "He-he-he-he-he", der Zug nimmt an Tempo zu, plantscht ins Wasser und schwimmt unter der kleinen Brücke durch und hält zielstrebig auf ein Gehege auf der anderen Seite eines kleinen Teichs zu. Der junge Mann hebt einen Eimer Reis auf den Kopf und watet durchs brusttiefe Wasser. Begeistert schnatternd heisst die Entenschar ihn willkommen. Zeit fürs Abendessen.
Wenn sich doch für uns das Tischlein auch so einfach decken würde, doch Myanmar ist essensmässig ein hartes Pflaster. In silbrigen Alutöpfen stehen die verschiedenen Reisbeilagen in Glasvitrinen, bei 35 Grad im Schatten. Was da im Laufe des Tages mit den gedämpften Bambussprossen und dem Hühnchen mikrobiologisch passiert, wollen wir uns gar nicht ausmalen. Als wir das erste Mal einen Blick in die Töpfe werfen, vertreibt uns der Geruch jeglichen Appetit. Uaah... - dabei sieht die Frau, die die Deckel hebt, gar nicht wie eine richtige Hexe aus. Und so wird die Essenssuche dann auch jeden Tag zu einer neuen Herausforderung. "Komm, wir gehen jagen", witzeln wir jeweils, wenn wir uns auf die Suche nach einem Restaurant machen. Bewaffnet mit einem Bild von gebratenem Reis mit Gemüse und Ei auf dem Smartphone streunen wir durch die Gassen. Wir fragen hier, wir fragen dort. Vom einen Ende des Dorfs werden wir ans andere geschickt, von der linken Seite der Strasse auf die rechte, bis sich schliesslich ein Einheimischer erbarmt und uns den Weg in eine kleine Garküche weist. Die sieben Prüfungen hätten wir damit nun eigentlich bestanden und wenn alles nach Märchenlogik ginge, sollten wir jetzt mit einem grossen Festmahl belohnt werden.
Doch dass Myanmar nicht viel mit Märchen am Hut hat, wissen wir inzwischen. Und so halten wir dem Koch unsere Bildchen App "Icoon for Refugees" (App für Flüchtlinge) unter die Nase, zeigen auf das Bild für Reis, Zwiebeln, Tomaten und Ei und setzen zusätzlich einer unserer drei Wünsche ein: "Bitte liebe Fee, mach, dass es essbar ist." Ein Teller gebratener Reis landet vor uns auf dem Tisch. Vorsichtig schnuppern wir daran. Es riecht weder sauer noch vergoren. Danke gute Fee! Heute müssen wir nicht hungrig ins Bett.
Es ist Ende Februar, doch die Hitze erschlägt uns wie ein Knüppel aus dem Sack. Nur in den frühen Morgenstunden sind die Temperaturen einigermassen erträglich und so sind wir oft bereits im ersten Licht der Dämmerung unterwegs. So wie die Mönche, die barfuss und in dunkelroten Roben mit ihren schwarzen Schalen am Strassenrand entlang wandern und nach Almosen betteln. Wir schauen zu, wie Frauen ihnen Reis in die Schüsseln schöpfen, während die ersten Sonnenstrahlen die Türme der goldenen Pagoda im Dorf aufleuchten lässt. Mehr Pagoden und Stupas als Menschen soll es in Myanmar geben und viele von ihnen sehen aus wie der Kindertraum eines goldenen Märchenschlosses.
Doch für uns sind sie zu protzig, die Buddhastatuen mit ihren blinkenden Neonlämpchen zu grell, die Belehrungen der Lamas, die durch grosse Megaphon Lautsprecher blechern über die Dörfer schallen zu aufdringlich. Es ist eine andere Art Buddhismus, als der, den wir aus dem Himalaya kennen. Wir vermissen die tiefe, jede Handlung des Alltags bestimmende Spiritualität, die wir in Osttibet erlebt haben. Wir können auch nicht vergessen, dass in Myanmar führende Vertreter der Friedensreligion immer wieder zu Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen. Diese gipfelt darin, dass Moscheen niedergebrannt werden und die muslimische Minderheit der Rohingya brutal vertrieben wird, so dass die UNO inzwischen von einem Genozid spricht. Und was haben die Plastikgewehre auf dem Heiligenmarkt zwischen Goldbuddhas und Räucherstäbchen verloren?
Über einen Hügelzug strampeln wir Bäche schwitzend ans Meer. Hier gönnen wir uns zwei Strandtage, schwimmen im badewannenwarmen Wasser und lassen es uns gut gehen. Das Kippling's Bay Guesthouse ist ruhig und gemütlich mit einem Garten wie aus 1001 Nacht. Der Traum geht viel zu schnell vorüber, die Visa Uhr tickt und schon sitzen wir wieder im Sattel. Die Hauptstadt Yangon umfahren wir, folgen erneut kleinen Erdpisten, nur in Gesellschaft von hölzernen Ochsenkarren, grasenden Wasserbüffeln und freundlich winkenden Menschen. Wir erreichen Hpa An, berühmt für seine Buddha Höhlen und die Karstberge in der Umgebung. Wie alle anderen mieten wir einen Scooter und machen einen aktiven Pausentag. Für uns so ungewohnt wie Rapunzel mit Kurzhaarfrisur. Und dann packt uns der vierspurige Highway Drache und fliegt mit uns zur thailändischen Grenze. Dem Happy End entgegen.
Mingalaba - Simsalabim! Haben wir den Zauber Myanmars gefunden? Wir sind uns nicht sicher.
Wir haben das Lachen der Leute geliebt, die Begegnungen. Aber wir haben auch ein Land erlebt, das grösstenteils bitterarm ist und die Goldesel der Touristen zu oft an den drei gleichen Orten angepflockt werden. Ein Land, in dem sich das Militär offiziell zurückzieht, aber im Alltag immer noch sehr präsent ist und das Wort "Demokratie" für die meisten Menschen ein verschwommener Begriff bleibt. Als wir eine Touristin in Bagan gefragt haben, warum ihr Myanmar gefällt, meinte sie: "Weil es noch so ursprünglich ist. Die Leute hier laufen in ihren traditionellen Lunghis und den lustigen Hüten herum, weil das für sie zum Alltag gehört, nicht weil es ihnen jemand gesagt hat." Wie die Frau des Fischers kommen die Märchenhungrigen also hierher, um zu bekommen, was sie nicht (mehr) haben. Und wer entschlossen genug ist, schliesst beim Froschküssen einfach die Augen. Dann wird der Zauber Myanmars sicher wirken. Doch zum Velofahren muss man die Augen offen halten. Und so bleibt Myanmar für uns eher Frosch als Prinz.
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