18.11.13 Bald ist es Tag. In einem neuen Land ankommen, erste Schritte gehen. Eine Steinsilhouette in der Morgendämmerung erinnert an eine verschleierte Frau. Frühstück suchen und für den Tag einkaufen. Ein verstohlener Griff an den Kopf, sitzt das Kopftuch noch richtig? Schmunzeln über imitierte Produkte: Tack tack für KitKat, Katrin für Knobbers, Pitbull für Redbull. Wir hören leise den Muezzin rufen. Es ist lange her, seit wir ihn gehört haben. Annäherung an den Iran.
19.11.13 Regen. Wir bleiben in Jolfa, 5-Dollar Unterkunft. Das Zimmer ist eine Zelle, kaum Platz für zwei Betten, einen Tisch, einen Gasofen. Auf dem Stockwerk riecht es nach Urin, draussen hört man den Zimmernachbarn rotzen, eine halbe Stunde lang. An den Wänden Graffitis auf Farsi. Wir können jetzt nichts mehr lesen, finden Unterkünfte oder Internetkaffees nur noch mit Hilfe, auch wenn wir direkt davor stehen.
20.11.13 Stopp an der Tankstelle nach Marand, es ist kalt. Werden sofort zum Tee und Essen eingeladen, ein Bezahlen wird vehement abgelehnt. Jemand ruft einen Freund an, Akbar Naghd, er kommt mit dem Motorrad aus der Stadt, um uns seine Fotosammlung zu zeigen. 275 Radler, die hier in den letzten neunzig Monaten durchgefahren sind. Ein Knotenpunkt zwischen Europa und Asien. In den Fotobüchern von Akbar sind sie alle vereint. Türken mit Faltvelo, Rennrad und Rucksack, das Pärchen, welches in Kambodscha einen tödlichen Unfall hatte, der Japaner, der in zehn Jahren um die Welt gefahren ist. 275 Geschichten und Schicksale in vier verschiedenen Fotoalben. Auch wir werden fotografiert und landen im Album.
21.11.13 Wir finden keinen Übernachtungsplatz, es bleiben noch 30km bis Tabriz. Nachtfahrt: Eingeschränkte Sinne, das Brausen der Lastwagen auf der vierspurigen Autobahn. Die Welt ist reduziert auf einen Lichtkegel, rote Diodenreklamen, Autoscheinwerfer, Lärm. Von rechts eine weitere Strasse, ein Lichtschlauch. Auch wir radeln in einem solchen Lichtschlauch. Zwei Lichtsignale in einem Glasfaserkabel. Und dann haben wir einen Platten. Es ist jetzt acht Uhr. Wir sind noch vier Kilometer vom Zentrum entfernt. Auf einer Verkehrsinsel packen wir das Fahrrad ab, ein Zehnernagel steckt im Pneu. Noch während dem Flicken taucht Ervan auf und bringt uns heissen Tee. Er arbeitet in einer Kebabbude um die Ecke und lässt nicht locker bis wir seiner Einladung nach Hause folgen.
22.11.13 Frühstück um Zehn. Wir schauen fern: Englischer Kanal. Es wird berichtet, dass bei einer Umfrage in den USA 56% für eine Lockerung der Iransanktionen seien. Der Iran wird als Bombe dargestellt. In der Bombe hat es Prozentwerte. Jemand malt mit rotem Filzstift ganz oben einen Strich hin. Ervan findet die Amerikaner „stupid“. Er schaltet den Fernseher aus und lädt uns ein, bei ihm zu bleiben. Auf seine Kosten, so lange wir wollen.
28.11.13 Gegenwind, ein unerbittlicher Gegner, reisst an uns, rauscht in den Ohren. Eine Kreuzung streckt ihre Arme in alle Himmelsrichtungen. Mehrmals halten Autos an: Woher, wohin, wie gefällt euch der Iran? Und immer wieder „I'm so happy to see you here! Welcome to Iran, welcome to my country!“ Am Abend werden wir von der Strasse weg eingeladen. Wir landen bei einer Lehrerfamilie mit viel Power, es ist laut und es herrscht eine unkomplizierte Stimmung. Drei Generationen, zwölf Personen. An der Wand hängt ein Bild der religiösen Führer des Landes. Sie haben auch nach der Präsidentenneuwahl von diesem Sommer uneingeschränkte Macht. An den meisten Dorfeingängen gibt es grosse Plakate von ihnen. Kein Blickkontakt. Der eine schielt weg, den anderen sieht man im Profil. Sie wollen gesehen werden, zweifellos, aber selber wollen sie niemanden sehen. Wahrscheinlich ist ihnen das Wegschauen zur Gewohnheit geworden. Die Familie beteuert, sie würden sie lieben, ihre Führer. Stolz in den Augen. Überzeugung.
30.11.13 Wir werden von der Polizei aufgegriffen. Passkontrolle, danach ab auf den Posten. Widerstand zwecklos. Auf dem Büro werden unsere Daten in den Computer eingetragen. Der Typ hinter dem Tisch strahlt Negativität aus, herablassend, wichtigtuerisch, machtbesessen. Ein einfacher Soldat übersetzt belanglose Fragen auf Englisch. Danach passiert nichts mehr. Eine Stunde lang behandelt der Tischtyp wichtige Sachen, während wir mit dem Soldaten plaudern. Er ist interessiert, denkt, dass viele ein falsches Bild von den Iranern hätten. Er fragt uns nach einem Statement über sein Land. Brigitte sagt ihm, dass die Iraner die gastfreundlichsten Menschen der Welt seien. Der Soldat übersetzt in den Raum. Die Gesichter hellen sich auf, anerkennende Blicke, tuscheln, ein selbstgefälliges Grinsen des Tischtypen. Ja, sie hören sie gern, die Iraner, Komplimente über ihr Land. Nach eineinhalb Stunden werden wir entlassen. Es ist nichts weiteres geschehen. Beim Herausgehen sagt uns der Soldat, dass er die Polizisten hasse, dass alle hier gegen Amerika seien, er aber anders denke. Die Informationen fliessen rasch, zwischen dem Türrahmen. Zum Abschied flüstert er uns seinen Namen zu. Eine Regelüberschreitung. Ein kleiner Akt der Rebellion. Sein Militärdienst dauert zwei Jahre.
1.12.13 Eine Frau spricht Brigitte auf der Strasse an, organisiert ihre Schwester als Übersetzerin. Wenig später sitzen wir in einem eleganten Wohnzimmer und knabbern an Süssigkeiten. Pflichtgemäss tragen alle Frauen ihr Kopftuch, aber immer öfter blitzt darunter Übermut hervor. Während ich bei etwas verkrampften Männern sitzen bleibe, begleitet Brigitte die Frauen in den Beautysalon, der der Schwägerin von Mehri, der Gastgeberin gehört. Sobald die Frauen unter sich sind, verschwinden die Kopftücher, zerrissene Jeans und knappe Shirts kommen zum Vorschein. Es wird gelacht, über die neusten Makeupfarben und Modestile diskutiert, nebenbei Haare geschnitten und Augenbrauen gezupft. Und am Schluss heisst es „...no, no money, you are family“, während die schwarzen Kopftücher wieder über den Kopf gezogen werden und sich die Frauen in pflichtbewusste Iranerinnen zurück verwandeln.
3.12.13 Wir fahren auf einer alten Karawanenstrasse. Man merkt es an den Landmarken, die sie immer wieder ansteuert, an den Wadis, denen sie folgt. Eine alte Karawanserei, halb zerfallen, von Graffitis übersprühte Mauern, russgeschwärzt. Stille um uns, nur der Wind, der durch die Steine streicht. Man kann sie spüren, die Leute, die hier vor Jahrhunderten Rast gemacht haben, die Dromedare schreien beim Beladen, Hektik, der Duft von gegrilltem Kebab wabert durch die Luft, Männer trinken Tee im Schatten der Arkaden... Nichts ist geblieben ausser Ruinen. Der Smog in den Städten frisst die letzten Bauwerke aus einer grossen Zeit.
7.12.13 Vor der Imam Moschee in Esfahan treffen wir einen Mann. Er spricht Deutsch, ist Uhrmacher, hat drei Jahre in Freiburg gearbeitet. Ah, Schweiz, gute Uhren dort. Er hätte in seinem Leben zu viel geschuftet, 18 Stunden am Tag, jetzt habe er Arthrose in den Händen und Rückenschmerzen. Hätte halt ein schönes Haus gewollt, ein schnelles Auto... Aber er habe einen Fehler gemacht. Durch die Sanktionen der USA und der EU habe er alles verloren. 80% Wertverlust des Geldes in den letzten drei Jahren. Dafür werde nun das Benzin subventioniert, billiger als Wasser. Es seien nicht die Ausländer, das habe die Kulturrevolution gemacht. Die Iraner seien selber schuld. Alles Scheisse, Iran Scheisse. Enttäuschung in den Augen. Resignation.
12.12.13 Zagros Berge, endlich wieder frische Luft und abwechslungsreiche Tage. Es schneit. Nomaden treiben Ziegenherden die Berghänge hoch, Frauen in bunten Röcken sammeln Nüsse. Schon vier Tage sind wir nun seit Esfahan unterwegs. Schlafen in einer kleinen Moschee, nachdem uns ein paar halbwüchsige Jungs hierher geführt und sich mit einem knusprigen Brot als Geschenk von uns verabschiedet haben. In der Nacht Knieschmerzen von der Belastung und Muskelkrämpfe. Zeit für eine Pause.
13.12.13 Ein letzter Pass und dann sausen wir hinab nach Shiraz. Ein grosses Schild: Welcome to the healthcare city. Kurz danach beginnt die Smogglocke. 30km bis ins Stadtzentrum, stechende Lungen, wie eine Flipperkastenkugel hüpfen wir umher auf der Suche nach einem Hotel. Wir finden das Paradies. Das Frühstücksbuffet, wie eine Fata Morgana in der Wüste.
21.12.13 Ein Tag, als müssten die ganzen Luftmassen über dem Iran ausgetauscht werden. Grauer Staub hängt in der Luft, die Landschaft ein Sepiabild. Steinwüste. Die letzten zwei Tage haben wir unter Brücken geschlafen. Ohne Zelt, es war warm. Heute suchen wir Schutz bei einer roten Halbmondstation. Wir haben Glück, uns öffnet ein junger Englischstudent die Tür, der hier für zwei Tage Geld verdient. Wir machen zusammen Englisch Lessons. Die Aufgaben sind viel zu schwierig. Meist muss er die Antworten erraten, Erklärungen gibt es in dem Lehrmittel keine. Er zeigt Brigitte Fotos von seiner Freundin. Ohne Kopftuch, mit Mini und Strümpfen. Es sei das Nachbarsmädchen, das sei toll, denn immer wenn die Eltern weg seien, komme sie zu ihm rüber... Wir lachen viel.
25.12.13 Kein Schiff aus Bandar Lengeh nach Dubai an Weihnachten. Zu viel Wind. Immer zu viel Wind die letzten Tage, das haben auch wir gemerkt. Heute versuchen wir es in Bandar Abbas. Wir müssen unsere Tickets ändern. Nach langem Suchen finden wir Mr. Zenjah in seinem Büro. Doppelkinn, Schnäuzchen, schon etwas älter. Trinkt hinter seinem Tisch Tee mit Leuten, die kommen und gehen. Ich sitze auf einem Stuhl. Nach fünfzehn Minuten hat er meinen Namen abgetippt. Neue Kollegen kommen. Ich beginne ihn anzustarren. Er nimmt mich wieder wahr, macht ein Telefon nach Teheran, um die Umbuchung zu bestätigen. Die Kollegen gehen, der Tee ist leer. Mein Nachname steht jetzt auch schon auf dem Papier. Neuer Tee wird serviert, das Starren nützt nichts mehr. Es wird geraucht. Mein Fingertrommeln löst ein zweites Telefonat nach Teheran aus. Ich bete, dass Mr. Zenjah irgendwann den Printknopf findet. Die Fähre fährt um neun. Dort wird Mr. Zenjah das Hauptkommando für die Passabfertigung haben... Letzte Stunden im Iran. Draussen ruft der Muezzin, gedämpft durch die Fensterscheiben. Ein Land verlassen, letzte Schritte gehen. Bald ist es Nacht.
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