Noch 3400km bis Cape Town: Eine Zugabe der Regenzeit, die Victoriafälle. Zwei Schritte vor und wir werden durchgespült. Zwei Schritte zurück und die Sonne scheint. So einfach sollte es immer sein. Ja, sie sind beeindruckend, diese Wassermassen, welche hier auf einer Breite von fast zwei Kilometern in die Tiefe donnern, auf den Felsen hundert Meter unter uns zerschmettern, hochwirbeln, sich zu Wolken zusammenballen und auf uns niederprasseln. Zwei Schritte vor und wir können ihn sehen, den feinen Regenbogen. Glitzernde Sonnenstrahlen in Abertausenden feinen Tröpfchen. Wir streichen uns die nassen Haare aus den Augen. Zwei Schritte zurück. So, jetzt aber genug vom Regen!
Noch 3000km bis Cape Town: Im Caprivizipfel treffen wir Dan. Der Brite führt hier am Kwando ein einfaches Ecocamp und bietet Bootstouren auf dem Fluss an, der etwas weiter südlich ins riesige Okavangodelta fliesst. Wir fahren durch Schilfgürtel, weisse und rosa Seerosen auf ihren dicken Stängeln spiegeln sich im dunklen Wasser, Eisvögel flitzen durch die Luft. Ein kleines Krokodil sonnt sich am Ufer und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. In der Nacht hören wir die Hippos direkt neben unserem Zelt prusten und schnaufen. Grössere Tiere sehen wir jedoch nicht. Nun am Ende der Regenzeit ist Wasser im Überfluss vorhanden. Die grossen Herden haben sich weit über das Gebiet verteilt. Das Grenzland zwischen Angola, Namibia, Zambia, Zimbabwe und Botswana ist einer der weitläufigsten Wildtierkorridore Afrikas.
Noch 2600km bis Cape Town: Mit dem Mururani Gate überqueren wir die Veterinärgrenze in Namibia und von einem Moment auf den anderen scheinen wir Schwarzafrika verlassen zu haben. Wir sind im Land der weissen Farmer angekommen. Hohe Zäune ziehen sich nun der Strasse entlang, nur ab und zu unterbrochen von einem, mit Kette und Schloss gesicherten Tor. Die Zeltplatzsuche wird jeden Abend zu einer neuen Herausforderung. Finden wir ein Gatter, das unverschlossen ist und kein zu deutliches „no entry“ Verbotsschild trägt? Oder ist irgendwo ein Loch im Zaun? Sind wir schneller, wenn wir unser Zeug über den Zaun hieven oder unten durch quetschen? Manchmal finden wir das perfekte Buschcamp, doch oft müssen wir auch einfach mit dem vorlieb nehmen, was sich gerade anbietet. Ein Baggerloch oder eine betonierte Unterführung, wo wir dann den afrikanischen Sonnenuntergang aus dem Tunnel heraus geniessen.
Noch 2000km bis Cape Town: In Windhoek treffen wir auf Aschi. Gerade hat er seine Reisegruppe am Flughafen verabschiedet und zu unserem Glück kommen ihm die Feiertage über Auffahrt in die Quere. Er lädt uns ein, mit ihm vier Tage in den Etosha Nationalpark zu fahren. Wir haben den Lottosechser gezogen. Aschi kennt den Park wie seine Hosentasche, wir sind immer zur rechten Zeit am rechten Ort. Jetzt im Frühjahr haben viele Tiere Junge, und so entdecken wir auf unseren Gamedrives nicht nur riesige Herden von Gnus, Zebras, Kudus, Oryx' und Springböcken mit ihrem Nachwuchs, sondern auch Löwenbabies, die geduldig im Schatten auf die Rückkehr ihrer Mütter warten. Die Camps zum Übernachten liegen alle an beleuchteten Wasserlöchern und wir sitzen dort bis spät in die Nacht, um den Nashörnern, Warzenschweinen, Elefanten und Hyänen zuzuschauen, wie sie ihren Durst stillen.
Noch 1500km bis Cape Town: Wir haben die Hauptstrasse verlassen und radeln nun auf Pisten durch den südlichen Teil der Namibwüste. Die Packtaschen sind voll, der Wasserkanister schwer. Die Tage sind markant kürzer geworden, die Temperaturen fallen nachts auf null Grad. Wir besteigen die Dünen von Sossusvlei und später radeln wir durch die unwirkliche Landschaft der Tirasberge. Orange, ocker, rot, braun, die warmen Farben der Felsen und des Sandes leuchten aus dem gelben Steppengras hervor, während ein sanft blassblauer Himmer sich über die Weite spannt. Das Grün des Oranje Flusstales schafft einen spannenden Gegensatz dazu. Die Gegend ist einsam, nur hin und wieder kommen wir an einfachen Farmen vorbei. Wahrscheinlich Nachfahren der Vortrekker, der burischen Siedler, die während der Kolonialzeit vor dem britischen Regime nach Norden ausgewichen sind.
Noch 700km bis Cape Town: Wir reisen nach Südafrika ein. Das trockene Wüstenklima liegt hinter uns. Das Wetter ist unfreundlich, kalt und nass. Eine Fahrt wie durch die schottischen Highlands im Herbst. Wir hoffen auf besseres Wetter und hören Ipod. Das „Echo der Zeit“ mit Beiträgen zu den Geschehnissen in Burundi. Ein Bürgerkrieg scheint immer unausweichlicher zu werden. Erst vor knapp zwei Monaten waren wir dort unterwegs. Betroffenheit - und auch Wut, dass ein einzelner Mensch, ein Präsident, ein ganzes Land in den Abgrund reissen kann.
Noch 400km bis Cape Town: Auf den Regen folgen vier glasklare Herbsttage. Wir entschliessen uns zu einer Schlaufe auf Schotterpisten durch die Zedernberge, der Heimat des Rooibos Tees. Eine mediterrane Berglandschaft, fantastische Ausblicke auf dem Uitkykpass, und dann eine tausend Höhenmeter Abfahrt hinunter ans Meer.
Noch 100km bis Cape Town: Wir durchqueren Weingüter, ein letzter Höhenzug und schon radeln wir durch die ersten Vororte von Kapstadt. Townships aus Wellblechhütten, überragt von Flutlichtscheinwerfern, dann eine hohe Mauer, Elektrozäune und Stacheldraht, die Villen der Luxusviertel. Noch nie haben wir einen so krassen Gegensatz zwischen Arm und Reich erlebt wie in Südafrika. Ein Nährboden für soziale Spannungen und Gewalt. Für uns ein Spiegel was passiert, wenn die, die alles haben sich gegen die, die nichts haben abschotten.
Am Ziel: In Kapstadt regnet es wieder wie aus Kübeln. Wir machen es uns am Feuer in unserem Hostel gemütlich. Soll es doch schütten. Ein Backpacker versucht uns hartnäckig zum hiken mitzunehmen. Als wir auch am zweiten Tag ablehnen, fragt er genervt, warum wir denn eigentlich extra nach Kapstadt gekommen wären, wenn wir nun einfach nur doof herumsitzen würden. Dafür haben wir nur ein müdes Lächeln übrig. Wir haben es uns verdient, rumzusitzen und nichts zu tun. Erst nach einer Woche wandern auch wir auf den Tafelberg, den 1000 Meter hohen Hausberg von Cape Town. Auf dem Gipfel ist eine Metalltafel angebracht. Darauf steht: „Eines der wertvollsten Geschenke des Lebens ist Zeit.“
Zugabe: Ein Abschnitt unserer Reise geht zu Ende. Noch zehn Tage bleiben uns, bevor wir für einen Monat nach Madagaskar fliegen. Dort werden wir unsere Gruppenreise an die Westküste leiten. Wir freuen uns darauf! Madagaskar bleibt auch nach der Durchquerung des ganzen schwarzen Kontinents unser bevorzugtes afrikanisches Land. Und so radeln wir mit dieser Vorfreude im Bauch der Küste entlang zum Kap Aghulas, der südlichsten Spitze Afrikas. Es ist eine gemütliche Fahrt mit viel Pausen, um das schlechte Winterwetter auszusitzen. Zwischendurch gibt es aber auch sonnige Tage. Wir hören den Wellen zu, schauen wie sich die Pinguine ins Meer stürzen und wie die Fischer ihren Fang einbringen, geniessen es, angekommen zu sein - und schmieden natürlich auch fleissig Pläne, wie unsere Reise weitergehen soll.
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