Wir stehen an der Omanischen Grenze, überrascht von der Dunkelheit. Eine lange Lastwagenkolonne wartet vor dem Checkpoint, Scheinwerfer fluten das Gelände, vibrierende Motoren, Staub. Kein geeigneter Ort zum Zelten. Vom Militärgelände werden wir höflich, aber bestimmt weggeschickt, die angestellten Pakistani beim Imbissstand drucksen auf unsere Frage, ob wir unser Zelt hinter der Bude aufstellen können herum. Sie sind nur Angestellte in einem Land mit krasser Zweiklassengesellschaft und dürfen nichts entscheiden. Zum Glück hat es auch noch eine kleine Strassenmoschee und nachdem uns ein junger Omani versichert hat, dass es kein Problem sei, hier zu übernachten, stellen wir unser Zelt in der Ecke zwischen dem Waschbereich und der Toilette auf. Der Muezzin ruft zum Abendgebet. Für einmal ohne scheppernden Lautsprecher, sondern leise, direkt aus dem Innern der halboffenen Moschee.
In der Nacht reisst der Verkehr am Checkpoint nicht ab. Die Strassenbeleuchtung und die Hitze rauben uns den Schlaf. Obwohl wir nur das Innenzelt aufgestellt haben, läuft uns der Schweiss herunter.
Es dauert eine ganze Woche, bis sich unsere Körper an die Hitze gewöhnt haben. Zu Füssen der Hajar Berge, denen wir seit einigen Tagen folgen, wird die Sonne von den dunklen Felsen reflektiert. Obwohl bereits Ende Oktober, messen wir am Mittag 45 Grad. Genau ab Mitternacht kühlt es zum Glück etwas ab, ein paar Stunden, in denen wir uns erholen können. Wir gewöhnen uns an, am Abend zum Duschen zwei Wasserflaschen mehr als üblich zu füllen. Gewaschen können wir viel besser schlafen. Oft zelten wir jetzt ungestört, etwas abseits der Strasse in der Steinwüste und das Duschen in der Dunkelheit ist kein Problem. Es sind magische Nächte, wenn sich der Wind nach dem Sonnenuntergang gelegt hat, hört man kein Geräusch mehr. Jeden Abend wird das Licht des zunehmenden Mondes etwas stärker. Die Landschaft leuchtet matt und über uns erstreckt sich der endlose, funkelnde Sternenhimmel.
Eine steile Piste bringt uns über einen Pass ins Wadi Nakhar, ein trockenes Flusstal, von dem immer wieder tief eingeschnittene Schluchten abzweigen. Wir radeln nun auf einer der bekannten Sightseeingrouten im Oman. Schon bald brausen Jeepkonvois mit abgedunkelten Scheiben an uns vorbei, sie spucken Touristengruppen aus, die wie wir auf das perfekte Abendlicht auf dem Lehmhüttendorf Gul warten, das malerisch am gegenüberliegenden Ufer klebt. Wie wir sind sie den Klischeebildern Omans verfallen, die aber schon lange nicht mehr das eigentliche Leben des Landes widerspiegeln. Der alte Ort Gul ist längst verlassen, die Hütten zerfallen und schwenkt man die Kamera nur ein paar Zentimeter nach rechts, schieben sich die Betonhäuser des neuen Gul in den Sucher. Keineswegs idyllisch, aber realistisch, denn auch die Omanis wollen heute nicht mehr in Lehmhäusern hausen. Ihr Leben hat sich in den letzten vierzig Jahren unter der planerischen Hand von Sultan Qaboos drastisch verändert. Wie zu seinem Amtsantritt versprochen, hat er das Land innert Kürze aus dem Mittelalter in die Moderne geführt. Dabei hat er nicht vergessen, den Tourismus zu fördern.
Die Werbebilder eines märchenhaften Landes aus 1001 Nacht haben sich auch bei uns eingeprägt. Allerdings haben wir dabei übersehen, dass die Zielgruppe der omanischen Tourismusförderung kaufkräftige Touristen sind, die eine Mischung aus Erholung mit westlichem Luxus und einem Touch arabischer Exotik suchen. Und spätestens als wir jetzt neben den Gruppen gutbetuchter Touristen stehen, die hübschen, aber leblosen Lehmhäuser von Gul vor unseren Augen, merken wir, dass wir eigentlich nicht hierher gehören. Seit zwei Wochen haben wir auf der Strasse gelebt, mit der Petflasche geduscht und unsere Kleider stinken. Wir sind müde von der Hitze, es wäre Zeit für eine Pause. Doch wir scheuen die Hotelpreise.
Zum Sonnenuntergang schlendern wir durch den alten Souq der Oasenstadt al Hamra. Auch hier sind die Lehmhäuser nicht mehr bewohnt und zerfallen, der Oasengarten wird aber noch genutzt, üppig grün, mit sorgfältig angelegten Feldern unter den schattenspendenden Dattelpalmen und einem Falaj, einem Kanalsystem für die Bewässerung. Eigentlich wollten wir hier im Garten zelten, doch es hat zu viele Mücken und so landen wir auf dem Spielplatz am Stadteingang. Wir liegen schon im Zelt, als noch ein Vater mit einem Kind vorfährt. Schon denken wir, dass wir nun das Feld räumen müssen, aber der Mann schaut kein einziges Mal in unsere Richtung. Er muss uns sehr wohl gesehen haben, spielt aber mit seinem Sohn weiter und lässt uns in Ruhe. Später kommen Jugendliche vorbei, rollen bei der Rutschbahn einen Teppich aus und wollen hier eine kleine Party starten. Als sie unser Zelt bemerken, packen sie aber umgehend zusammen und verschwinden. Wir verbringen eine ruhige Nacht auf dem Platz und fühlen uns von nun an im Oman so sicher wie in Japan.
In Nizwa leisten wir uns dann doch ein Hotel. Am nächsten Morgen ist in der Stadt Tiermarkt und den wollen wir uns nicht entgehen lassen. Wir geniessen die Klimaanlage, das weiche Bett, die saubere Bettwäsche. An der Leine quer durchs Zimmer hängen unsere frisch gewaschenen Sachen. Wir schlafen tief und erholsam. In der Nacht regnet es.
Die Sonne ist kaum über dem Horizont, die Strassen noch nass und die Luft kühl, als wir uns gespannt zum Tiermarkt aufmachen. Auf einmal ist er da, der Oman, auf den wir gewartet haben. Triefend vor Klischeebildern, aber dennoch echt und lebendig. In einem Rondell werden die Tiere herumgeführt, es wird lautstark verhandelt. Wettergegerbte Gesichter, fliegende Hände, dampfende Achselhöhlen und bockige Ziegen. Eine tolle Stimmung. Leider währt sie nicht lange, denn um neun Uhr fallen die ersten grossen Touristengruppen ein. Bald hat es mehr Touristen als Einheimische. Zeit, sich zu verdrücken.
Ein heisser Tag mit viel Gegenwind bringt uns an den Rand der Wahiba Sands. Wir wollen am Ende eines kleinen Oasendorfes zelten, dort wo die Teerstrasse aufhört und die Dünen beginnen. Wieder einmal wird es viel zu schnell Nacht. Im Dunkeln finden wir einen Platz hinter einer grossen Fuhre Heuballen. Der Mond ist nun halb voll und so haben wir genug Licht, um unser Nachtessen zu kochen. Als der Muezzin ruft, laufen bärtige Männer an unserem Zelt vorbei, auf dem Weg zu Moschee. Ein leises „as-salamu ʿalaikum“ in unsere Richtung, ein kurzer neugieriger Blick, aber niemand stört uns.
Wie in einer Bleistiftskizze zeichnet das Mondlicht feine Umrisse von Ziegen- und Kamelställen, den nahen Häusern und Dünen in die Umgebung. Der Wind weht frisch, streut uns eine Prise Sand über unsere Pasta. Nicht weit weg röhrt ein Kamel. Um Mitternacht hält ein Jeep direkt neben den Heuballen. Als er nicht wieder wegfährt, freunden wir uns mit dem Gedanken an, dass auch der Fahrer wahrscheinlich hier schlafen wird. Am Morgen liegt Tau auf unserem Zelt. Früh steigen wir auf die Sanddünen, erwarten den Sonnenaufgang. Geniessen den Blick auf das endlose Sandmeer, den Beginn des Rub al Chali, des „leeren Viertels“ das sich von hier bis fast ans Rote Meer erstreckt.
Und dann geht es auf in die Berge. Einen Tag lang haben wir unsere bepackten Fahrräder über eine brutal steigende Piste auf 2000 Meter hochgeschoben. Kurz vor der Abenddämmerung radeln wir durch zwei Bergdörfer, in denen uns schreiende Kinder entgegenrennen, die aber sofort Reissaus nehmen, als wir näher kommen. Die Leute hier sind dunkler, die Frauen tragen bunte Tücher statt des schwarzen Tschadors und anstelle des Niqabs nur ein Kopftuch. Sie treten selbstbewusster auf als die omanischen Frauen im Flachland, doch als wir nach einem Zeltplatz fragen, werden wir fortgeschickt.
Wir wissen, dass es bald dunkel wird, aber wir finden keinen geeigneten Zeltplatz. Der Vollmond geht auf und weist uns den Weg. Auf einem kleinen Pass schieben wir unsere Fahrräder gemeinsam über ein paar Felsplatten zu zerfallenen Steingräbern hoch. Es ist hell und wir können weit über die Berge blicken. Aus der Ferne bellt ein Fuchs.
Auf der Ostseite der Hajar Berge tauchen wir in eine dicke Nebelsuppe. Seit ein paar Stunden pedalen wir auf dem Seitenstreifen der Autobahn dem Meer entlang. Der verlassen Sportplatz am Dorfrand von Tiwi kommt uns als Übernachtungsplatz wie gerufen. Der Rasen ist hoch aufgeschüttet und dahinter haben wir perfekten Sichtschutz zur Autobahn. Kurze Zeit diskutieren wir noch, ob da nicht plötzlich noch ein abendliches Fussballtraining stattfindet, aber der Platz liegt so weit ausserhalb des Dorfes und die Sanitäranlagen sind ohne Wasser, dass wir uns zum Bleiben entschliessen. Doch seit wir in Sibirien einmal auf einer abgelegenen Baggerpiste im Schnee gezeltet haben, weit und breit keine Menschenseele und dann mitten in der Nacht prompt so ein Bulldozer aus dem Nichts gefahren kam und uns fast über den Haufen gekarrt hat, sollten wir es eigentlich besser wissen. Klar: Als wir um acht Uhr Abends bettfertig sind, macht es zack, die acht Flutlichtscheinwerfer gehen an, die Umgebung wird im Umkreis von einem Kilometer ausgeleuchtet und bald darauf joggt sich ein rotes und ein blaues Fussballteam auf dem Kunstrasen warm. Wir packen zusammen und als wir unsere Räder in Richtung Autobahn schieben, ruft uns ein Roter lachend nach: „Survival?“ Vielleicht war das der Anfang von unserem Unglück.
Zwei Tage später erreichen wir die Hauptstadt Muscat. Lange finden wir keine Unterkunft unter sechzig Franken, viele Hotels sind ausgebucht. Es beginnt erneut einzudunkeln. An der Hafenpromenade stellen wir unsere Fahrräder bei einem Internetcafe ab, um online weiterzusuchen. Als wir eine Stunde später ins Hotel einchecken, merken wir, dass einer unserer Dokumentenbeutel in der Kameratasche fehlt. Darin waren unsere Pässe und zwei Kreditkarten. Es ist wahrscheinlich, dass er uns soeben in der Touristenmeile vor dem Internetcafe geklaut wurde, aber genau so gut kann er schon seit Tagen weg sein, denn wir haben die Pässe nicht gebraucht. Wir sind fahrlässig geworden, weil wir uns im Oman so sicher fühlten. Der Verlust der Pässe ist der Alptraum aller Reisenden. Im Oman haben wir (zur Zeit noch) keine Schweizer Botschaft, nur ein Konsulat, besetzt von einem kranken, betagten Honorarkonsul, der in zwei Tagen Herrn Ogi empfangen muss. Der falsche Zeitpunkt für unser Anliegen. Eine Woche lang wird es dauern, um provisorische Pässe aus der Hauptbotschaft in Saudi Arabien kommen zu lassen, eine Sache, die auf einer regulären Schweizer Botschaft in einer Stunde erledigt werden könnte. Weil Skype im Oman geblockt wird, warten wir tagelang auf Mailantworten des EDA und der Schweizer Botschaft in Kairo, wo wir uns dann die regulären neuen Pässe besorgen wollen. Der lange Hotelaufenthalt frisst sich unaufhaltsam ein Loch in unser Reisebudget. Doch wir fühlen uns nicht in der Lage, in dieser Situation zu Couchsurfing Hosts zu ziehen. Wir wollen allein sein, verbringen schlaflose Nächte und können uns nur langsam wieder aufrappeln. Zum Glück helfen uns unsere Eltern und Kontaktpersonen in der Schweiz und langsam verzeichnen wir Fortschritte. Wir sehen ein, dass wir in den letzten fünfzehn Jahren auf all unseren Reisen immer Glück gehabt haben, dass das Warten mühsam und teuer ist, aber es irgendwann auch wieder weiter geht. Und schon bald sehnen wir uns dem Aufbruch entgegen. Tagen und Nächten voller Überraschungen. Mit einem neuen Ziel vor Augen: Der Strecke Cairo – Cape Town.
It's African time!
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